Silver Moon
genauso irritiert auf seine Hand wie ich auf meine; offenbar spürte er dasselbe. Keiner von uns wollte loslassen, keiner wollte dieses unbeschreibliche Gefühl aufgeben. Es sah gewiss peinlich aus, wie wir uns gegenüberstanden und jeweils die Hand des anderen festhielten, als wären wir zusammengeklebt. Am liebsten hätte ich ihn bis ans Ende meiner Tage festgehalten, um die paradiesischen Empfindungen, die sich in mir ausbreiteten, für alle Ewigkeit zu genießen, aber schließlich musste ich ihn loslassen und zog betreten meine Hand zurück. Peinlich berührt blickte ich zu Boden und konnte kaum einen klaren Gedanken fassen.
›Yuma, Anouks Bruder‹, hallte es in mir. Von ihm hatte mir Mia gestern Grüße bestellt. Woher kannte er mich?
»Möchtest du nicht doch reinkommen? Wir können uns drinnen viel besser unterhalten. Ich schätze, du hast einige Fragen«, sagte er sanft und traf damit ins Schwarze. Ich nickte und folgte ihm schweigend in die Hütte.
Es war merkwürdig: Hier war ich die letzte Woche jeden Tag gewesen, bin ein und aus gegangen. Ich kannte inzwischen jedes noch so kleine Detail der Hütte, sogar den Inhalt der Schränke, weshalb Yumas Bekleidung mir auch so vertraut vorkam, aber Yuma selbst hatte ich hier noch nie gesehen, noch nicht einmal ein Foto von ihm. »Du wohnst hier, richtig?«, fragte ich vorsichtig und konnte mir einfach keinen Reim darauf machen, denn Bob hatte mir doch erzählt, es wäre Sakimas Reich.
Yuma nickte. »Ja, ich wohne hier, und Sakima auch! Er ist … mein Hund sozusagen«, gestand er leise und einige Bedenken schwirrten mir durch den Kopf. Als Erstes dachte ich an die Flöte, den Traumfänger und den Brief …
Konnte Yuma dahinterstecken? Waren die Geschenke etwa von ihm gewesen? Instinktiv griff ich an meinen Hals und nahm die Flöte fest in meine Hand. Fragend, jedoch ohne ein Wort zu verlieren, sah ich Yuma an. Er spürte wieder, was in mir vor sich ging.
»Ja, ich habe die Flöte geschnitzt und auch den Traumfänger gebastelt. Und der Brief ist ebenso von mir wie der Strauß Vergissmeinnicht, den Sakima Mia für dich mitgegeben hat. Ich wollte dir schon lange ›Danke‹ sagen! Ohne deine Hilfe wäre Sakima vermutlich an seiner Schusswunde verendet. Es ist nicht selbstverständlich, dass man einen verletzten Wolf versteckt, ihn pflegt und ihn mit einer derartigen Hingabe und Liebe beschenkt, wie du es getan hast!«
Mir fehlten die Worte, um auf Yumas Erkenntlichkeit einzugehen. Vollkommen überwältigt stand ich vor ihm und blickte verlegen zu Boden. »Hab ich doch gern getan«, flüsterte ich und fügte kleinlaut hinzu: »Ich mag ihn – sehr!«
Für einen kurzen Augenblick erfüllte eine besinnliche Stille das Zimmer, ehe Yuma mir tief in die Augen sah und flüsterte:
»Er mag dich auch … Mehr als du dir vorstellen kannst!«
Yuma schenkte mir dabei einen so vertrauten und liebevollen Blick, dass es mir die Sprache verschlug. Es fühlte sich wieder so an, als würde mich Sakima anschauen. Am liebsten hätte ich weiter nachgehakt, um zu erfahren, wo der Hund steckt. Aber etwas in meinem Innersten behielt die Frage für sich. Stattdessen genoss ich die Gegenwart von Yuma wie nichts zuvor. Bei ihm fühlte ich mich genauso heimisch und geborgen wie bei Sakima, nur dass diese Nacht mit ihm noch viel schöner wurde, was ich vor ein paar Stunden nie für möglich gehalten hätte.
Yuma brühte uns Tee, von selbst gezogener Pfefferminze. Der Duft erfüllte die ganze Hütte, schwebte von der kleinen Küche bis in das große Wohnzimmer. Wir hatten es uns im hinteren Bereich auf dem Metallbett gemütlich gemacht, so, wie ich es sonst mit Sakima tat. Aber diesmal saß mir Yuma gegenüber und ich nippte zaghaft an dem köstlichen Tee. Die aromatische Minze zog in meinen Rachen, strömte durch meine Nase und schenkte mir ein unglaubliches Frischegefühl. Ich trank einen weiteren Schluck. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich von Yuma beobachtet wurde. Er sah mich die ganze Zeit interessiert an und lächelte. Leicht verlegen stellte ich meine Tasse auf dem Nachttisch ab und strich meine langen Haare, die mir ins Gesicht gefallen waren, zur Seite. Ich hatte gar nicht mehr an meine verletzte Stirn gedacht, die nun deutlich wurde. Das war mir unangenehm und ich wollte sie schleunigst wieder verbergen, fuhr abermals mit meiner Hand durchs Haar, doch Yuma hielt unverhofft meinen Arm fest und strich mit seinem Zeigefinger zärtlich über die Beule.
»Ich weiß, was gestern
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