Silvermind (German Edition)
Ray kamen zu der Fürsorge seiner Schwester gegenüber die häuslichen Verhältnisse hinzu, die anscheinend nicht die Besten waren. Nero hatte damit keine Erfahrung, konnte einzig versuchen, die Situation zu verstehen.
„Hat Roger dir denn … wehgetan?“, wollte Nero wissen, das Schlimmste vermutend. Lora schüttelte nachdrücklich den Kopf.
„Nein. Mir nicht.“
Aber ihrem Bruder. Das stand so deutlich in ihren Augen, dass er es unmöglich hätte übersehen können. Also stammten die blauen Flecken auf Rays Wange von der väterlichen Faust. Nero presste die Lippen zusammen.
„Passiert das oft?“, knurrte er leise. Lora wich seinem Blick aus. Interessiert widmete sie sich ihrem Stift. „Lora?“
„Bitte sei nicht wütend auf Ray“, flüsterte sie. Unglauben stieg in ihm auf. Wie kam die Kleine darauf, dass er auf ihren Bruder wütend sein könnte?
„Das bin ich nicht.“
„Gut …“
„Lora?“ Sie seufzte schwer.
„In letzter Zeit häufiger. Er redet nicht darüber, aber ich kriege es immer mit. Ich wünschte …“ Sie schien sich bewusst zu werden, wie tief das Gespräch ging. Lora biss sich auf die Unterlippe, dann schüttelte sie den Kopf. „Ich … tut mir leid, ich habe dir viel zu viel erzählt. Mein Bruder mag es nicht, wenn man hinter seinem Rücken über ihn redet.“
„Verständlich. Aber du hast dir Sorgen gemacht, Lora. Von mir wird er nichts erfahren.“
„Danke.“
Sie schenkte ihm ein ehrliches Lächeln. Eine Weile schwiegen sie. Dann wechselte Nero das Thema, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Sie redeten ein paar Minuten, bis der Rest der Truppe zu ihnen kam.
„Wollen wir los?“, fragte Mark, der neben ihn getreten war. Nero schaute auf die Uhr und nickte.
„ Seid ihr alle soweit?“, richtete er in die Runde. Bejahendes Raunen erklang von allen, bis auf einen.
„Ray?“ Der hatte sich stumm neben seine Schwester gestellt. Gerade half er ihr, die Sachen einzupacken. Jetzt sah er Nero kurz an.
„Wohin wolltet ihr noch mal?“
„Club oder Bar. Mal sehen“, antwortete Mark anstelle von Nero. Ray deutete auf seine Kleidung. Ein ausgewaschenes T-Shirt und Bondagehose.
„Mit dem Oberteil komme ich durch keine Gesichtskontrolle.“
„Ich hab was im Auto liegen. Da passt du rein. Während wir Lora bei ihrer Freundin absetzen, kannst du dich im Wagen umziehen“, meinte Nero gelassen. Ray blieb keine Zeit zu überlegen. Mark legte ihm einen Arm um die Schulter, boxte ihm leicht in die Seite und nickte.
„So machen wir es. Jetzt kommt, ich muss endlich überschüssige Energie loswerden.“
Gemeinsam verließen sie die Fabrikhalle. Nero hatte für die Band vor ein paar Jahren einen Van angeschafft, auf den sie nun zugingen. Nachdem er aufgeschlossen hatte, steuerte er den Kofferraum an. Das besagte Kleidungsstück war in den Untiefen vergraben. Er angelte das schwarze Netzshirt mit Drachenprint aus der hintersten Ecke, schüttelte es einmal kurz aus und reichte es an Ray. Dieser besah sich das Oberteil, fuhr mit dem Finger die Bänder entlang, die sich von den Schultern abwärts einmal auf dem Stoff überkreuzten. An den Ärmel waren kleine Schnallen angeheftet.
„Danke“, meinte Ray und legte den Stoff auf dem Autodach ab. Ohne Umschweife zog er das alte Shirt über den Kopf.
Für einen Moment stand Ray oberkörperfrei vor Nero, der nicht umhin konnte, die Augen über die Haut gleiten zu lassen. Ray war drahtig gebaut. Er hatte eine ausgeprägte Brustmuskulatur, die in einen flachen Bauch überging, unter dessen Haut sich leicht die Muskelstränge abzeichneten. Die Bondagehose saß tief auf den schmalen Hüften, gab den Blick auf die Lenden frei.
Unweigerlich stellte sich Nero vor, wie es wäre, Ray unter sich liegen zu haben. Windend und keuchend vor Lust, Lippen in einem heißen, leidenschaftlichen Kuss vereint. Eine Illusion, die nicht wahr würde. Ray streifte das Netzshirt über, zog es glatt und warf das alte Oberteil in den Kofferraum.
„Jungs, fertig dahinten?“, ertönte Zenos Stimme von vorne, was Nero augenblicklich aus seiner Starre löste.
„Ja.“
Er umrundete den Van, stieg auf der Fahrerseite ein und wartete darauf, dass Ray die hintere Schiebetür zu zog. Dann fuhr er los.
***
Wo auch immer die Jungs waren, sie befanden sich nicht in unmittelbarer Nähe der Bar. Kaum hatten sie den Pub betreten, verstreuten sich die Kerle in alle Himmelsrichtungen. Jetzt saß Nero alleine am Tresen, ein leeres Glas
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