Silvermind (German Edition)
zittrig die kühle Luft in die Lunge. Er fror, aber nichts vermochte ihn in dem Moment zu wärmen. Mit jedem weiteren Schritt, den er sich vom Pub entfernte, nahm die Schwärze in seinem Inneren zu. Wie zäher Schleim legte sie sich um seine Eingeweide, fraß das Leben in ihm auf. Ihm war, als hätte jemand eine Schlinge um seinen Magen gelegt. Das Gehen verhinderte, dass er sich der Übelkeit ergab, es schaffte, sie unter der Oberfläche zu halten. Kalt, dachte er immer wieder. Er war kalt. Nichts würde mehr an ihn herankommen, alles an seiner Mauer abprallen.
Ray schluckte. Seine Zunge war ein klebriger Klumpen, lag schwer im Mund. Das Gefühl, gleich ersticken zu müssen, obwohl er atmete, war übermächtig.
„Warte.“ Ein einziges Wort, das die nächtliche Stille wie ein Donnerschlag zerriss. Für einen Moment blieb es in der Luft hängen, dann wurde es vom Wind fortgetragen.
„Ray, bleib verdammt noch mal stehen!“
„Lass mich in Ruhe.“
Ruckartig wurde er an der Schulter herumgerissen und prallte gegen Neros Brust. Wütend stieß Ray sich ab, versuchte dem Griff des Leaders zu entkommen.
„Fass mich nicht an!“
„Hör mir zu.“
„Es ist alles gesagt.“
„Nein, ist es nicht. Es tut mir leid.“ Ein verächtliches Schnauben glitt über Rays Lippen.
„Was ist dein Wort noch wert, Nero? Spare dir die Entschuldigung. Ich brauche sie nicht.“ Ein stummes Blickduell entbrannte zwischen ihnen. Nero funkelte ihn aufgebracht an, Ray stierte wütend zurück. Schmerzhaft hielt der Leader ihn an den Oberarmen fest, drückte die Daumen tief in sein Fleisch. Ray war es egal, was der Kerl vor ihm sagen würde. Er hatte genug gehört, brauchte keine geheuchelte Entschuldigung.
Nero presste die Lippen aufeinander, dann ließ er Ray mit einem Mal los.
„Wenn das so ist“, lächelte er dünn, nickte ihm zu und drehte sich um. Ray fluchte leise und kickte einen Stein vom Straßenrand. Am liebsten hätte er ihn aufgehoben und Nero an den Kopf geschmissen. Oder ihren Streit mit Fäusten ausgetragen. Aber der Mistkerl bot keine Angriffsfläche mehr, jetzt, da er abhaute. Das frustrierte Ray nicht nur, sondern machte ihn wütender. Letztlich war es egal, sagte er sich. Es würde nichts bringen, die Aggressionen an dem Kerl auszulassen. Streng genommen konnte Nero nichts für Rays derzeitigen Zustand. Auch wenn dessen Worte einen Weg durch seine Mauer gefunden hatten …
Ray wollte nicht darüber nachdenken. Lora würde er keinen Vorwurf daraus machen, dass sie Dinge erzählt hatte, die Nero nichts angingen. Die letzten Tage waren nicht gut gewesen. Es war nicht die Schuld seiner Schwester, dass sie sich, aus Sorge um ihn, jemanden gesucht hatte, mit dem sie reden konnte. Nach Ray war der Typ die falsche Adresse gewesen. Einst war auch er auf Nero hereingefallen. Vielleicht hatte es Lora geholfen.
Ray lief die Straße ein Stück hoch, bis er zu einer Bushaltestelle kam. Ohne die anderen würde er von diesem Ort nicht wegkommen, aber er brauchte einen Moment, um runterzukommen. Die Hände in den Hosentaschen vergraben saß er auf einer eisernen Bank und schaute in den Himmel.
Die Zeit verstrich, während er seinen Gedanken nachhing. Er wusste nicht, wie es weitergehen sollte. ´Silvermind` war kein Fortschritt gewesen. Ja, er konnte seinem Leben nachgehen, der Passion zur Musik. Aber weder waren dadurch die finanziellen noch die privaten Probleme geklärt. Ray war kein offizielles Mitglied der Band. Was ihn daran am meisten störte, war der Umstand, dass er keinen Platz hatte. Nichts, wohin er gehörte. Er war ein Fisch im riesigen Meer. Vielleicht hatte er insgeheim gehofft, ein Teil der Gemeinschaft zu werden. Doch Nero hatte ihm deutlich gezeigt, dass dies nicht der Fall war.
Ein Klingeln durchbrach die Stille. Seufzend fischte Ray nach dem Handy in der Hosentasche.
„Ja?“
„Blair hier. Wo steckst du?“
„Bin in der Nähe. Was ist?“
„Kannst du Auto fahren?“ Ray zog eine Augenbraue hoch.
„Lass mich raten, ihr habt alle gesoffen und jetzt braucht ihr jemanden, der euch nach Hause bringt.“
„Genau.“
„Ihr seid Flaschen. Zehn Minuten, dann bin ich da.“
„Danke, Kumpel.“
Nachdem Ray aufgelegt hatte, schaute er einen Moment auf das Display. Trotzdem er mit Nero immer wieder aneinandergeriet, konnte er nicht behaupten, dass er sich unwohl fühlte. Der Rest der Band war okay, sie behandelten ihn wie jemand Ebenbürtigen, akzeptierten ihn. Doch die
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