Silvy macht ihr Glück
rauche, Sylvi?“
„Nein, gar nicht. Ich möchte selber gern eine Zigarette haben.“
Jean zündete eine Zigarette an und steckte sie ihr in den Mund. Das hatten ihre Freunde in Norwegen auch oft getan. Aber heute lag etwas sonderbar Intimes in dieser kleinen Geste, wie sie es nie vorher empfunden hatte.
„Nein, nehmen Sie nicht die Hände vom Lenkrad.“
Er nahm ihr die Zigarette aus dem Mund, machte selbst einen Zug und gab sie ihr zurück. So rauchten sie gemeinsam, und die Stimmung zwischen ihnen war von einer spannungsgeladenen Süße.
Zu Mittag aßen sie in einem der vielen Hotels, die auf ihrem Weg lagen. Wieder genoß es Sylvi, so aufmerksam bedient und mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt zu werden. Insgeheim mußte sie über den beflissenen Oberkellner lächeln. Sie wußte genau, welche Gedanken sich hinter seiner höflichen Miene und den ehrerbietigen Worten verbargen.
„Wissen Sie, Sylvi“, sagte Jean, als sie beim Nachtisch angekommen waren – einer riesigen Schüssel mit frischem Obst –, „wissen Sie, ich bin dreißig Jahre alt, und dies ist das erstemal, daß ich so ungestört, ja, so allein mit einer jungen Dame – einer wirklichen Dame, meine ich – bin! Sie wissen vielleicht nicht, wie es bei uns ist. Die jungen Mädchen aus guter Familie werden so beschützt und behütet, als ob alle Männer Mädchenräuber wären.“
Sylvi nickte. „Ja, ich weiß es. Meine Kameradinnen in Grenoble haben mir davon erzählt.“
„Wie herrlich frei muß es bei Ihnen sein, in dem schönen Norwegen.“
„Ja“, sagte Sylvi. „Manchmal vielleicht ein bißchen zu frei. Aber andererseits lernen wir, selbständig zu sein, und wir wissen, daß wir selbst die Verantwortung tragen. Unsere männlichen Freunde sind unsere Kameraden, und wir sagen alle du zueinander. Und wenn wir zusammen Touren machen, teilen die Jungen und die Mädchen alle vorkommenden Arbeiten.“
Jean schwieg ein Weilchen und biß nachdenklich in eine Feige.
„Das klingt natürlich verlockend, denn, meine Güte, wie langweilig ist das oft hierzulande mit den Mamas und Chaperonen, die dabeisein müssen. Nun ja, Sylvi, Sie haben ja auch Madame Allen hier, also einen festen Stützpunkt. Aber trotzdem, ich meine, daß diese Kameradschaft auf die Dauer viel von dem Charme des Beisammenseins verderben muß, die Selbstverständlichkeit, mit der ihr du zueinander sagt und gewissermaßen keine Geheimnisse voreinander habt. Und es ist doch das Geheimnisvolle an den Frauen, das uns reizt! Wir sind nun einmal im Grunde altmodische Mannsbilder, wir wollen uns anstrengen, um die Frau zu erobern, auf die wir ein Auge geworfen haben, verstehen Sie?“
„Ja – doch –, auf eine Weise verstehe ich es schon. Aber andererseits appelliert doch gerade dieses ungezwungene Beisammensein in hohem Grade an die ritterlichen Instinkte des Mannes, verstehen Sie das nicht?“
„Doch, Sylvi, das verstehe ich. Und so empfinde ich auch in Ihrer Gesellschaft. Möge mich der Himmel bewahren, daß ich diese Ritterlichkeit vergesse. Möge dieser Frauenräuberinstinkt, der in jedem Mann schlummert, nicht die Übermacht über mich gewinnen.“
Da lachte Sylvi, es war ein frisches, klingendes Lachen.
Er beugte sich rasch hinunter und küßte ihre Hand.
Dann kam der Oberkellner und schenkte höchstpersönlich den Kaffee ein.
Sie zogen weiter, und da Sylvi ihr Entzücken über all die herrlichen Früchte geäußert hatte, besorgte Jean reichlichen Proviant für den Rest des Tages. Während Sylvi fuhr, bekam sie Aprikosen und Pfirsiche in den Mund gesteckt. Sie biß davon ab, und Jean aß den Rest. Wieder war diese süße, etwas gefährliche Spannung da.
Dann tauchte Mont-Saint-Michel auf. Sie fuhren über den Damm. Es war Ebbe und die Insel mit dem Kloster und dem Festland verbunden. Auf beiden Seiten des Dammes lag der flache schneeweiße Strand.
„Wie schön es hier ist“, sagte Sylvi mit leiser Stimme.
Jean sah auf die Uhr. „In einer Stunde haben wir Flut“, sagte er. „Ich freue mich, Ihnen das zu zeigen, es ist wirklich ein Erlebnis. Kommen Sie, kleines norwegisches Goldhaar, jetzt gehen wir beide ins Kloster. Aber versprechen Sie mir, daß dies nicht zur Gewohnheit wird.“
Er nahm ihren Arm, und sie gingen durch das kleine Landstädtchen. Sie trafen Herden von kleinen Schweinen mit schwarzen Köpfen und schwarzen Beinen. „Die sehen aus wie siamesische Katzen“, stellte Sylvi lachend fest. Sie gingen durch schmale Gassen mit altertümlichen
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