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Silvy will die Erste sein

Silvy will die Erste sein

Titel: Silvy will die Erste sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Louise Fischer
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warf einen Blick über die
Schulter. Silvys blonder Haarschopf war hinter einer Biegung des Weges
verschwunden. Leonore war allein, mutterseelenallein, und der Frühlingswald,
der eben noch hell und freundlich gewesen war, wirkte riesenhaft,
undurchdringlich und bedrohend.
    Leonore Müller war kein
Angsthase, aber sie war ein Großstadtkind und noch nie zuvor in ihrem Leben
ganz allein in einem Wald gewesen. Schon die Stille wirkte auf ein Ohr, das an
Autohupen und quietschende Bremsen gewöhnt war, geradezu unheimlich. Die
Blätter der Bäume bewegten sich ganz sachte, und das Zwitschern der Vögel
schien ängstlich zu klingen, so ängstlich, wie Leonore sich fühlte.
    Tak-tak-tak machte es irgendwo,
ganz in der Nähe.
    Leonores Herz setzte einen
Schlag lang aus.
    Was war das? Vielleicht ein
Specht? Sie wußte es nicht, sie hatte noch nie einen Specht klopfen gehört. Sie
blieb ganz still stehen und hielt den Atem an.
    Da war es wieder, das
Tak-tak-tak, und nun kam noch etwas anderes hinzu, ein Geräusch im Unterholz,
ein schnaubendes Atmen.
    Leonore zwang sich,
weiterzugehen. Sie ballte die Hände zu Fäusten und lauschte angestrengt.
    Ihr war es, als wenn sich
schleichende Schritte neben ihr im Dickicht vorwärts bewegten, und das
schnaubende Atmen wurde lauter. Sie wagte, ohne den Kopf zu wenden, einen
Seitenblick aus den Augenwinkeln. Ja, da neben ihr bewegte sich etwas!
    Sie nahm es nur für den
Bruchteil einer Sekunde wahr, dann war es um ihre Fassung geschehen.
    Mit einem Aufschrei drehte sie
sich um. „Silvy! Silvy!“ Sie raste der Freundin nach.

    Silvy saß, knappe hundert Meter
weiter, auf einem Baumstumpf und malte mit einem Stock seltsame Kreise und
Zeichen auf den Boden. „Nanu“, fragte sie mit gespieltem Gleichmut, als sie
Leonore heransausen sah, „schon wieder da?“
    „Oh, Silvy, mir ist etwas
Entsetzliches passiert! Ein Geräusch im Unterholz... jemand oder etwas hat sich
bewegt...“
    „Das glaub’ ich dir gerne“,
antwortete Silvy ungerührt, „im Wald regt und bewegt sich dauernd etwas.“
    „Oh, Silvy, wenn wir bloß schon
bei den anderen wären!“
    „Ich für mein Teil“, sagte
Silvy und erhob sich, „werde es in zehn Minuten sein.“
    „Das verstehe ich nicht.“
    „Ich habe auch nicht die
Absicht, es dir zu erklären.“
    „Bitte, Silvy, nimm mich mit!“
Silvy musterte die Freundin, die dünnen Augenbrauen hochgezogen, von oben bis
unten. „Nur, wenn du mir schwörst, mir keine dummen Fragen zu stellen.“
    „Ich schwöre es.“
    „Und mir keine Vorwürfe zu
machen, wenn es schiefgehen sollte.“ Leonore hatte eine bange Frage schon auf
der Zunge, aber sie schluckte sie hinunter; alles schien ihr besser, als sich
noch einmal allein durchschlagen zu müssen. „Ich schwöre es.“
    „Na dann. Von mir aus. Komm
mit.“ Silvy warf einen Blick zum Himmel, sprang dann über den schmalen Graben,
der den Weg vom Wald trennte, und marschierte geradewegs ins Unterholz.
    „Silvy, was soll das? Wo willst
du hin?“ rief Leonore ganz verdutzt.
    „Du hast geschworen, mir keine
dummen Fragen zu stellen.“
    „Aber die Frage ist ja gar
nicht dumm, ich muß doch wissen, was...“
    „Komm mit. Ich erkläre es dir
unterwegs.“
    Noch einmal hatte Leonore die
Wahl, doch der Schreck saß ihr noch zu sehr in den Gliedern, als daß sie ruhig
hätte überlegen können. So folgte sie Silvy in das Dickicht hinein.
    „Bravo“, sagte Silvy, die nicht
zugeben wollte, wie froh sie selber war, daß sie wieder Gesellschaft hatte, von
oben herab, „anscheinend bist du doch nicht so eine Transuse, wie ich gedacht
hatte. Bleib mir nur immer dicht auf den Fersen, dann kann dir gar nichts
passieren.“
    „Ja“, sagte Leonore atemlos.
    Das Gestrüpp war nicht so
dicht, wie es vom Weg aus gewirkt hatte, und sie kamen tatsächlich ganz gut
voran.
    Erst als sie eine kleine
Lichtung erreichten, wagte Leonore wieder eine Frage. „Du wolltest mir doch
erklären, Silvy...“
    „Ach ja. Das ist höchst
einfach. Ich wundere mich, daß du nicht von dir aus darauf gekommen bist...“
Sie legte eine Kunstpause ein, aber Leonore blieb stumm.
    „Nun, ich habe errechnet“, fuhr
Silvy fort, „daß die Auer Mühle von der großen Kreuzung aus in Richtung Süden
gelegen hat, wir aber sind nach Westen gelaufen. Wenn wir den ganzen Weg
zurückgehen würden, müßten wir einen riesigen Umweg machen. Quer durch den Wald
brauchen wir uns jetzt nur in Richtung Süden zu halten, dann müssen wir auf die
Auer

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