Silvy will die Erste sein
nicht ein,
das ist so“, sagte Silvy scharf, „auch wenn ihr es hundertmal nicht wahrhaben
wollt. Nehmt doch nur mal die letzte Stunde. Ich habe alles gewußt, wirklich
alles, und ich habe jedesmal aufgezeigt. Und wie oft bin ich drangekommen?
Zweimal. Genausooft wie Leonore, die Trantüte.“
„Seit wann ist denn Leonore
eine Trantüte?“ fragte Ruth ganz erstaunt.
„Nicht erst seit heute“,
behauptete Silvy, „sie döst doch die meiste Zeit vor sich hin.“
„Ja, ich bin jetzt dauernd so
müde“, gab Leonore mit einem schwachen Lächeln zu.
„Lenk nicht ab, Silvy“, mahnte
Katrin, „wir sprechen über dich. Willst du wirklich behaupten, daß Mohrchen
ungerecht ist?“
„Hast du etwa eine bessere
Erklärung dafür, warum sie mich nicht aufruft?“
„Und ob“, sagte Katrin
ungerührt.
„Na, da bin ich mal gespannt.“
Die Mädchen traten jetzt ins
Freie und rannten, wie immer, ihrem geliebten Wäldchen zu. Bis sie sich die
Bank in der Sonne erobert hatten, verstummte jedes Gespräch.
„Nun mal los, Katrin“, rief
Silvy dann, noch atemlos, „du bist uns noch eine Erklärung schuldig.“
Katrin hatte sich auf die Lehne
der Bank geschwungen und ihre Füße auf den Sitz gestellt, obwohl das streng
verboten war. „Das liegt doch auf der Hand“, sagte sie gemütlich und packte ihr
Butterbrot aus, „mich wundert nur, daß dir das selber noch nicht aufgefallen
ist, obwohl du so schlau sein willst. Mohrchen nimmt jeden dran, wann es ihr
paßt, ohne Rücksicht darauf, ob man sich meldet oder nicht. Im Gegenteil, je
weniger du dich meldest, desto öfter wirst du aufgerufen, weil sie dann glaubt,
du weißt es nicht und mal auf den Busch klopfen will.“ Sie klappte ihr Brot
auseinander. „Mmm... mein Lieblingskäse!“ Sie biß kräftig hinein.
„Nicht schlecht“, sagte Ruth
beeindruckt, „also versuch’s doch mal nach Katrins Prinzip und melde dich
nicht.“
„Was glaubst du, wie überrascht
Mohrchen sein wird!“ fügte Olga hinzu und lachte.
„Ihr seid gemein!“ rief Silvy
empört. „Immer versucht ihr nur, euch über mich lustig zu machen. Wenn ihr bloß
wüßtet, wie satt ich euch habe!“ Sie sprang auf und rannte davon.
„Ta, ta, ta“, machte Katrin
kopfschüttelnd, „es wird immer schlimmer mit ihr!“ Sie rutschte schleunigst von
der Lehne auf den Sitz herab, weil sie gerade noch rechtzeitig bemerkt hatte,
daß Fräulein Freysing sich näherte.
In der nächsten Stunde war
Mathematik bei Dr. Künzel. Er nahm mit den Schülerinnen der sechsten Klasse
Differentialrechnungen durch, und wie immer meldete Silvy sich wie verrückt,
aber sie hatte Pech; ein paarmal kam ihr eine andere Mitschülerin zuvor.
„Jetzt probieren wir es mal mit
dem Multiplizieren“, sagte Dr. Künzel, „ich gebe euch eine Rechnung...“ Er trat
an die Tafel und schrieb an: „137,14 x 217,12 =“
Die Mädchen begannen eifrig zu
kritzeln. Dr. Künzel trat, die Hände auf dem Rücken, an das Fenster und blickte
zum blauen Himmel hinauf. Dann drehte er sich plötzlich um.
Silvys Zeigefinger war als
einziger oben.
„Schon fertig, Silvy?“ fragte
er erfreut. „Also... dann laß mal hören!“
Aber tatsächlich war Silvy noch
mittendrin in ihrer Rechnerei; sie hatte sich schon gemeldet, als sie gerade
erst angefangen hatte. Jetzt geriet sie ins Stottern: „Moment noch...eine
Sekunde...“
„Irgend etwas nicht klar?“ Dr.
Künzel trat hinter Silvy und blickte auf ihr Blatt.
Silvy wurde nervös und
nervöser, und obwohl sie sonst gut rechnete, wollte es ihr diesmal einfach
nicht mehr glücken.
„Ich hab’s!“ rief Katrin.
„Laß hören“, sagte Dr. Künzel.
„Neunundzwanzigtausendsiebenhundertneunzigkommazweiundneunzig“,
schnarrte Katrin.
„Sehr richtig“, lobte Dr.
Künzel.
Silvy war ganz blaß, fast grün
vor Ärger geworden. Aber niemand achtete auf sie.
„Beim Multiplizieren immer
besonders auf die Stellen hinter dem Komma achten, liebe Leute“, sagte Dr.
Künzel, „sie verdoppeln sich nämlich und müssen dann wieder auf zwei abgerundet
werden...“
Der Unterricht ging weiter.
Keines der anderen Mädchen
hätte so eine kleine Schlappe, wie sie Silvy gerade passiert war, wichtig
genommen, denn so etwas kam ja jeden Tag und jede Stunde wieder vor. Deshalb
hielt es auch niemand der Mühe wert, sie damit aufzuziehen. Aber die ehrgeizige
Silvy kränkte sich entsetzlich.
Als es klingelte, sagte Dr.
Künzel: „Morgen haben wir in der ersten Stunde Mathematik. Das
Weitere Kostenlose Bücher