Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition)
gefallen.
Wegen des Blumenstraußes ließ er sich zur Tanke auf der Mörfelder Landstraße fahren. Auf der Suche nach einem Marken-Aftershave glitt sein Blick reumütig über die Regale. Leider vergebens. Duftwasser führte man nicht. Dafür war der Blumenstrauß eine Augenweide. Zart rosafarbene Anthurien, edle Rosen und Lilien fügten sich zu einem fulminanten Gebinde. Ein bißchen Grünzeug war auch dabei.
Auf der Fahrt zum Lerchesbergring überprüfte er nochmals den Geruch seiner Wangen. Man roch fast gar nichts mehr, und so kehrte auch sein Wagemut allmählich zurück.
Fünf Minuten später entlohnte Simon Schweitzer den Chauffeur, stieg aus und klingelte. Maria von der Heide betätigte den elektrischen Türöffner des schmiedeeisernen Tores. Koniferen säumten den Kiesweg. Bei jedem Schritt knirschte der Kiesel unter den Sohlen. Da Herr Schweitzer das Gefühl hatte, von Maria über ein unsichtbares Kamerasystem beobachtet zu werden, hielt er den Strauß hinter dem Rücken. Von ganz fern drangen Verkehrsgeräusche an seine Ohren. Die Bäume warfen lange Schatten. Irgendwo in der Nachbarschaft bellten zwei Hunde. Ein leichter Schweißfilm hatte sich auf seinen Handflächen gebildet. Er wischte ihn an der Hose ab.
Lautlos öffnete sich die Tür, und Maria erschien im Türrahmen. „Grüß dich.“ Sie machte einen Schritt auf Simon Schweitzer zu, wollte ihn umarmen. Doch seine steife Haltung und der auf dem Rücken verborgene Arm hinderten sie daran.
Mit altmodisch gezierter Höflichkeit überreichte Herr Schweitzer den Blumenstrauß.
„Oh, die sind aber schön. Komm doch rein.“
Heute also kein Begrüßungsküßchen. Er folgte. Da fiel ihm ein, daß er eigentlich nach Altväter Sitte das die Blumen umhüllende Plastik hätte entfernen sollen. Vielleicht ist ja deswegen der Kuß entfallen. Er schalt sich einen Tölpel. Er tröstete sich damit, daß Maria nun nicht eben feierlich für den möglicherweise bevorstehenden Festakt gekleidet war. Trotzdem, und das wußte Simon Schweitzer nicht erst seit heute, standen ihr Jeans und schlichtes weißes T-Shirt super. Diese Figur. Atemberaubend.
Der ellenlange Flur endete in einem Zimmer gigantischen Ausmaßes. Donnerwetter, dachte Herr Schweitzer, hier hat’s ja mehr Quadratmeter als bei mir in der ganzen Wohnung. Und die waren auch notwendig. Wo sonst hätten die vielen Skulpturen auch Platz gefunden? Einige von ihnen waren mannshoch. Neugierig sah er sich um.
„Schau dich ruhig um“, sagte Maria. „Ich geh nur mal schnell in die Küche nach dem Rechten sehen. Dann zeig ich dir den Rest.“
Die bevorzugten Materialien waren Stein und Holz. Für Kunst an sich hatte Simon Schweitzer zwei Sparten parat. Das, was ihm gefiel, war gute Kunst. Und das, was ihm nicht gefiel, war Schrott, so einfach war das. Er fand, dies sei eine kluge Herangehensweise. An was hätte er sich auch sonst orientieren sollen? Einige kleinere Figuren thronten auf römischen Sockeln. Fast immer war ein Gesicht als Motiv vorhanden. Zuweilen liebevoll dreinblickend, manchmal grotesk verzerrt. Aber immer gefielen sie Herrn Schweitzer, wohl auch, weil die Skulpturen viel Harmonie ausstrahlten und in sich schlüssig waren.
Nachdem er sich an der Kunst sattgesehen hatte, schlenderte er zum Bücherregal, das Innenleben seiner Angebeteten einer genaueren Prüfung zu unterziehen. Triviales war nicht vorhanden, dafür etliche russische Klassiker wie Tolstois Anna Karenina oder Gorkis Verlorene Leute. Und jede Menge Bildbände über Maler und Bildhauer. Einige kannte Herr Schweitzer, die meisten jedoch sagten ihm nichts. An der Wand hingen auch einige Ölbilder, die nichts Reales darstellten, mit Verismus folglich nichts am Hut hatten, aber durch das Wechselspiel der Farben bestachen. Sie waren unterschiedlich gerahmt und signiert. Keines der Kürzel trug den Namenszug Maria von der Heide.
Simon Schweitzer stand an der gläsernen Schiebetür, die eine komplette Wandseite einnahm, und schaute in das weiche Abendlicht des Gartens, als Maria zurückkehrte.
„Ist bald fertig. Ich hoffe, du hast großen Hunger.“
„Hab ich.“
„Komm, ich zeig dir den Garten.“
Herr Schweitzer hörte Besitzerstolz aus ihrer Stimme. Maria schob die Tür auf, und sie gingen hinaus. In des Nachbars Garten fand offenbar ein Grillfest statt, denn man vernahm ein entspanntes Stimmengewirr und den typischen Bratwurst- und Steakgeruch.
Sie hatten den Flachbungalow einmal umrundet. Maria blieb stehen, bestrich das
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