sind große Klasse
Mädchen, die es nicht nötig hatten, die es zum Spaß taten, als Mutprobe oder weil sie auf nichts verzichten konnten, das ihnen gefiel. Mädchen, denen auch das üppigste Taschengeld nicht reichte. Oder Mädchen, die krank waren, denen etwas anderes fehlte als das, was sie im Kaufhaus stehlen konnten.
Die Schar der Neugierigen vergrößerte sich. Herr Müller nahm Hanni am Arm, fest, aber ohne Polizeigriff.
„Nein“, sagte er, „ich glaube dir nicht. Ich habe den Beweis in der Hand und ich habe dich an der Kasse beobachtet. Doch ich meine, wir unterhalten uns über diese Angelegenheit lieber in meinem Büro.“
Hanni stieg das Blut in die Wangen.
„Nein, bitte nicht. Glauben Sie mir. Und wenn Sie mir nicht glauben wollen, dann komme ich am Montag wieder. Ich bin aus Lindenhof. Wir spielen heute Nachmittag Handball gegen eine auswärtige Schule. Ich bin in der Mannschaft. Ich muss zurück.“
Der Mann ließ sie nicht los.
„Euer Handballspiel interessiert mich nicht. Wenn es dir so wichtig war, hättest du nicht stehlen sollen.“
Hanni erinnerte sich an Trix. Die wartete sicher draußen und wunderte sich.
„Meine Mitschülerin wartet auf mich“, sagte sie, aber sie hatte nicht mehr viel Hoffnung, dass es etwas nützen würde. „Sie war auf der Toilette ...“
„Hör auf mit den Ausreden“, meinte Herr Müller.
Sie fuhren hinauf in den obersten Stock. Hier waren die Büros der Geschäftsleitung. Hanni durfte sich auf einen Plastikstuhl setzen, Herr Müller nahm hinter dem Schreibtisch Platz.
„Und nun erzähl mir, warum du es getan hast“, sagte er. Es klang eigentlich ganz freundlich.
Hanni schwieg. In ihrem Kopf drehte sich alles. Vielleicht spürte sie noch die Wirkung der Spritze von Dr. Mühlhofer, jedenfalls konnte sie kaum klar denken. Sie wiederholte nur: „Ich habe nicht gestohlen. Ich wollte nicht klauen. Bitte glauben Sie mir und lassen Sie mich gehen.“
Herr Müller spielte mit dem Radiergummi.
„Wie heißt du und wie alt bist du?“, fragte er.
Hanni sagte es ihm.
Herr Müller legte den Radiergummi dahin zurück, wo er hingehörte. Er war ein ordentlicher Mann.
„Ich werde dich nicht bei der Polizei anzeigen“, fuhr er fort. „Du bist noch ein Kind. Außerdem war es das erste Mal, dass wir dich hier erwischt haben.“
„Aber ...“, wollte Hanni sich wehren.
Er schnitt ihr das Wort ab. „Ich werde dich gehen lassen. Aber ich werde mich mit der Direktorin von Lindenhof in Verbindung setzen. Und selbstverständlich hast du bei uns in Zukunft Hausverbot. Lass dich nicht noch einmal hier sehen.“
„Aber ...“, fing Hanni wieder an. Diesmal ließ sie sich nicht unterbrechen. Zu Verwirrung und Angst kam jetzt so etwas wie Wut.
Dieser Mann behandelte sie ungerecht. Sie hob den Kopf. „Ich habe die Sachen nicht stehlen wollen“, sagte sie. „Wie sie in meine Tasche gekommen sind, weiß ich nicht. Bitte rufen Sie Frau Theobald nicht an. Es wäre ... gemein ...“
Sie wusste, sie hätte nicht „gemein“ sagen sollen. Er würde sich ärgern und sie musste es ausbaden.
Herr Müller antwortete nicht. Er schaute Hanni an. Ziemlich lange. Sie hatte keine Ahnung, was er dachte.
Er dachte darüber nach, dass dieses Mädchen da auf dem Stuhl log, so wie viele andere vor ihr auch gelogen hatten. Vielleicht sagte sie auch die Wahrheit.
Dann erinnerte er sich an einen Fall vor Jahren, der einem Freund von ihm passiert war, der ebenfalls Geschäftsführer in einem Kaufhaus war. Er hatte eine sechzehnjährige Ladendiebin gestellt, hatte sie gehen lassen, weil es nur um eine kleine Summe ging, und hatte ihrem Lehrherrn von dem Diebstahl Mitteilung gemacht. Am Tag darauf hatte sich das Mädchen vor einen Zug geworfen. Niemand hatte jemals herausfinden können, ob sie nun gestohlen hatte oder unschuldig war.
Herr Müller strich sich über die Stirn. Was sollte er tun?
Hannis Augen waren groß und starr auf ihn gerichtet.
Plötzlich entschloss er sich. Er wollte die Verantwortung nicht auf sich nehmen, dass diese Kleine hier tatsächlich unschuldig war, dass jemand anders ihr die Sachen in die Tasche praktiziert hatte, als er sich beobachtet fühlte.
„Gut, Hanni“, sagte er. „Ich kann dir nicht glauben, alles spricht gegen dich. Aber du hast mir dein Wort gegeben, dass du nicht stehlen wolltest. Lassen wir die Sache also auf sich beruhen. Du kannst gehen. Und ich werde nicht mit deiner Direktorin darüber sprechen.“
Hanni stand auf.
„Danke“, murmelte sie.
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