sind große Klasse
„Ich muss wohl danke sagen, ich weiß. Aber ich wiederhole es noch einmal: Ich habe nicht gestohlen und nicht stehlen wollen. Irgendetwas ist passiert ... nur, ich kann nichts dafür.“
Herr Müller öffnete die Tür.
„Geh jetzt, Hanni.“
Sie wollte nicht auf den Lift warten, rannte die Treppe hinunter, rannte zum Fahrradständer. Es war Viertel nach eins. Trix war nicht mehr da. Hanni radelte wie eine Verrückte durch den Ort. Auf der Landstraße wurde es mühsamer, es ging bergauf. Hanni hatte zwar keine Zahnschmerzen mehr, aber sie fühlte sich schlechter als heute Morgen. Sie wusste, dass dieser Herr Müller sie nur hatte gehen lassen, weil sie noch nicht vierzehn war, weil die „gestohlenen“ Sachen keine dreißig Mark wert waren und vielleicht deshalb, weil er freundlich sein wollte. Sie war froh, dass sie noch rechtzeitig zum Spiel kommen würde.
Warum waren die Sachen in ihrer Tasche gewesen? Warum? Warum? Hanni zerbrach sich den Kopf und fand keine Antwort. Nach der St.-Anna-Kapelle fing sie an zu weinen. Drei Kurven später passierte es. Eine Ölspur auf der Straße ... und Hanni hatte nicht aufgepasst. Sie kam ins Rutschen, glitt aus, konnte sich nicht mehr fangen. Sie fiel irgendwohin, schlug mit dem Kopf auf einen Stein auf, der in der Wiese lag.
Drei Minuten später kam Familie Blüm vorbei. Sie machten wie jeden Sommer in einer kleinen Pension hier in der Gegend Urlaub. Heute unternahmen sie einen Ausflug. Sohn Rudi saß auf dem Rücksitz und wusste wie immer alles besser. Während sie darüber diskutierten, wo sie zum Mittagessen einkehren sollten, sah Herr Blüm das Fahrrad auf der Straße liegen. Er trat hart auf die Bremse. Dann bemerkte er das Mädchen.
„Du lieber Himmel!“, rief Herr Blüm.
Er sprang aus dem Wagen, seine Frau und Rudi folgten ihm. Rudi hatte vor ein paar Wochen einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht und dachte als Einziger daran, den Verbandskasten aus dem Kofferraum zu holen. Hanni war bewusstlos, sie blutete ein bisschen aus einer Schramme an der Schläfe.
„Wir müssen sie umdrehen“, sagte Rudi eifrig und wiederholte bei sich, was er gelernt hatte. Das Mädchen tat ihm leid, natürlich, aber irgendwie war er froh, seine Kenntnisse anwenden zu können. „Wir müssen sie in die stabile Seitenlage bringen, Vati. Vielleicht hat sie sich erbrochen und erstickt.“
Herr Blüm erschrak. Sein Sohn imponierte ihm. Er schien mit seinen achtzehn Jahren genau zu wissen, was zu tun war.
Sie legten Hanni auf die Seite, mit dem Gesicht schräg nach unten. Die Schramme sah nicht schlimm aus, fanden die Blüms. Hauptsache, die Kleine wachte bald wieder auf.
Herr Blüm tätschelte Hannis Wange, schlug dann etwas fester; sie rührte sich nicht. Vielleicht würde kaltes Wasser sie munter machen, überlegte er. Etwas Derartiges gab es zwar weit und breit nicht, aber Mutti hatte doch ...
„Elfriede, hol bitte die Limo“, sagte er.
Ganz sanft goss er dann der ohnmächtigen Hanni etwas Zitronenlimonade aus der Thermosflasche ins Gesicht. Diese Therapie gehörte zwar nicht zum Erste-Hilfe-Programm des Roten Kreuzes, doch sie wirkte. Hanni hob den Kopf, sie schüttelte sich und spuckte. Dann richtete sie sich auf.
„Was ...? Ich meine ...“
Sie begriff nicht, warum sie hier lag und mit Zitronenlimonade beträufelt wurde.
„Du bist mit dem Rad gestürzt, hast dich verletzt und warst bewusstlos“, erklärte Herr Blüm freundlich und ungeheuer erleichtert.
„Verletzt?“
Hanni betastete ihre Stirn, es tat weh und die Hand war blutig, als sie sie anschaute. Langsam kam die Erinnerung zurück. Sie lächelte mühsam. Es war nicht gerade ein fröhliches Lächeln, dazu bestand kein Anlass. Aber immerhin gewann ihr Humor wieder die Oberhand.
„Da gibt es so einen blöden Spruch“, sagte sie. „Aller guten Dinge sind drei. Scheint zu stimmen. Erst die Zahnschmerzen. Dann die eklige Sache im Kaufhaus. Und nun das noch.“
Rudi achtete nicht auf das Gespräch. Er war beinahe ein bisschen enttäuscht, dass sein Vater die bewusstlose Radlerin mit Zitronenlimonade so rasch wieder ins Leben zurückgerufen hatte. Er hatte sich schon ausgemalt, wie er sie im Notfall mit Mund-zu-Mund-Beatmung retten würde. Wenn dann der Notarzt kam - den Mutti holen würde -, wäre er der Held des Tages. Sicher würde in einem solchen Fall die Zeitung eine Notiz bringen. Vielleicht sogar mit Foto ...
Hanni lächelte die drei Blüms an, die sie umstanden.
„Herzlichen Dank“, sagte sie. „Sie
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