Sind wir nun gluecklich
Weisung von ganz oben kam, machte es für Shui Junyi und sein Drehteam keinen Sinn, sich ihr zu widersetzen.
Alle zerbrachen sich den Kopf darüber, wie es zu diesem Befehl hatte kommen können, und kamen auf vielerlei mögliche Erklärungen. Wenige Jahre zuvor hatte die versehentliche Bombardierung der chinesischen Botschaft in Jugoslawien durch die USA in China bereits heftig die Gemüter erhitzt. Wenn nun im Eifer des Gefechts, zumal es sich um eine Kriegssituation handelte, versehentlich Shui Junyi und andere chinesische Journalisten verletzt würden, würde dann vielleicht sogar das neutrale China in den Krieg verwickelt werden? Konnte man sich leisten, noch einmal eine Welle USA-feindlicher Emotionen innerhalb der chinesischen Bevölkerung zu wecken?
Sosehr dieser Erklärungsversuch auch nahelag – für Shui Junyi kam die Entscheidung einem Todesstoß gleich. Er war als einziger unserer Journalisten vor Ort, an der Front wie ein Soldat. Einfach abzuziehen bedeutete, ganz gleich, was die Gründe dafür waren, zu kapitulieren. Er musste sich fühlen wie ein Deserteur. Aber natürlich blieb ihm nichts anderes übrig, als zu akzeptieren.
In jenen Tagen telefonierte ich nach der Sendung »Draht nach Bagdad« mit Shui Junyi, der seinen Argwohn und seinen Ärger kaum verbergen konnte. Er suchte nach Auswegen, fragte sich, ob er sagen solle, er habe seinen Reisepass verloren, er würde seinen Posten bei CCTV in Peking kündigen und dergleichen. Aber bei einer Weisung von oberster Stelle war nicht nur Shui Junyi, sondern auch der Sender schlicht machtlos.
Unter strenger Eskorte durch die beiden chinesischen Botschafter im Irak und Bahrain wurden Shui Junyi und sein Team kurz vor Kriegsausbruch widerwillig aus dem Irak nach Hause geschickt.
Als dann der Krieg ausbrach, hatten wir zwei seit zwei Tagen die Verbindung zu Shui Junyi verloren, gleichzeitig berichtete aber die Reporterin Lüqiu Luwei von Phoenix TV weiter aus Bagdad. Die Internetgemeinde und die Zuschauer reagierten mit Unverständnis: »Shui Junyi ist zum Deserteur geworden!«, hieß es. Oder: »Eine Frau bleibt an der Front, während der männliche Reporter den Rückzug antritt. So was nennt sich Mann!«
Wir kannten den wahren Hintergrund und konnten unserem Korrespondenten dennoch nicht zur Verteidigung beispringen.
Verbittert und enttäuscht fasste Shui Junyi, der sich noch im Nahen Osten befand, einen gewagten Entschluss.
Nachdem wir nichts von ihm gehört hatten, erhielt ich nach diesen zwei Tagen überraschend einen Anruf, in dem er mir mitteilte, dass er und sein Team heimlich, entgegen der Weisung, in den Irak zurückgekehrt seien. Er forderte mich auf, persönlich den Direktor der Nachrichtenzentrale darüber zu informieren und für sein Recht auf Berichterstattung zu streiten.
Ich war mir der Bedeutung dieses Anrufs und der Mission wohl bewusst, hielt mich aber nicht lange damit auf, mir über die Schwierigkeiten und Gefahren dieses Vorgehens Gedanken zu machen, sondern begab mich schnurstracks mit Shuis Kollegen Zhang Huan auf die Suche nach dem verantwortlichen Nachrichtendirektor Li Ting.
Wir trafen uns mit ihm im alten Verhandlungszimmer der Nachrichtenzentrale, nur wir drei, allein im schummrigen Licht des Zimmers. Als ich dem Direktor von der vorschriftswidrigen Rückkehr des Teams um Shui Junyi in den Irak erzählte, entfuhr es Li Ting spontan: »Verdammtes Schlitzohr!«
Danach sagte er erst einmal gar nichts mehr, zündete sich eine Zigarette an, saß wie angewurzelt auf dem Sofa und nahm hastig ein paar Züge. Plötzlich erhob er sich, klopfte die Zigarette aus und sagte: »Ich gehe und berichte Intendant Zhao davon.«
Nervös blieben Zhang Huan und ich im Zimmer zurück und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Es handelte sich schließlich um einen Fall von »vorschriftswidrigem Verhalten«.
Li Ting kam ziemlich schnell wieder zurück und informierte uns aufgeregt, er habe sich mit dem Intendanten Zhao Huayong verständigt und der habe ihn angewiesen, da er nun schon einmal wieder vor Ort ist, solle er uns schleunigst Berichte senden, aber in zwei Tagen müsse er das Land endgültig verlassen. Eine Entscheidung, die meine schlimmsten Befürchtungen zum Glück nicht bestätigte.
Schnell kehrte ich ins Studio zurück, und wir nahmen sogleich die Sonderberichterstattung wieder auf. Da ich wusste, was es Shui gekostet hatte, in den Irak zurückzukehren, nahmen wir es in der Geschichte unserer Zusammenarbeit zum ersten Mal
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