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Sind wir nun gluecklich

Sind wir nun gluecklich

Titel: Sind wir nun gluecklich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bai Yansong
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dann kam die Pointe. Der Gastgeber fragte Shui Junyi zu Beginn der Veranstaltung: »Ich habe gehört, dass dein Wagen inspiziert wurde.«
    Und Shui Junyi antwortete ganz entspannt: »Kein Problem, ist schon alles gütlich geregelt.«
    Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass in diesem Moment das Video davon über die Leinwand flackerte – wie er brav aus dem Auto steigt und gehorsam seine Motornummer notiert. Natürlich brach der ganze Saal in schallendes Gelächter aus.
    Das Filmen mit versteckter Kamera wurde forthin zu einem der beliebtesten Mittel, um sich über die Verhältnisse in unserer Abteilung lustig zu machen. Gerade in diese Zeit fiel der Sendestart der Serien »Reis« und »Trennung im Oktober«, von denen sich unser Team einen großen Erfolg erhoffte. Das Publikum nahm die Sendungen mit Begeisterung auf, und sie gehörten zu den vielfältigen Produktionen jeglicher Couleur, die ein Ausdruck der Fähigkeiten unserer Programmmacher waren.
    Die vollkommen ungezwungene Atmosphäre der Jahresfeier war für die Mitarbeiter, die unter zunehmendem Druck litten, wie eine Therapie. Sie beruhigte ihre Ängste, war ein Ventil, um unterdrückten Gefühlen freien Lauf zu lassen, eine Möglichkeit, sich mitzuteilen. Sie gab ihnen ein Gefühl von Gleichheit und ermöglichte einem jeden, am nächsten Tag wieder guten Mutes im alltäglichen Konkurrenzkampf zu bestehen.
    Doch hat man einmal den Gipfel erreicht, kann es nur noch bergab gehen.
    Für die Jahresfeier 2002 übernahm ich die Planung. Als Produktionsmanager der Sendung »Shikong Lianxian« 3 war ich quasi naturgemäß für alles zuständig, was als große Sache galt, und dazu gehörte eben auch die Jahresfeier. Cui Yongyuan, ich, Yang Jihong und Chen Ha, die wesentlichen Kräfte hinter dem, was im Nachhinein als »böse Machenschaften« gebrandmarkt wurde, trafen uns schon frühzeitig und hielten unzählige Planungskonferenzen ab, bei denen eine Idee nach der anderen auf den Tisch gebracht und wieder abgelehnt wurde. Schließlich setzte sich eine kühne Idee durch: Auf Basis eines Wortspiels mit dem bekannten Gedicht »Der Osten ist rot« wollten wir eine fingierte Sendung namens »Der Rote Östliche Horizont« auf die Beine stellen, in der sämtliche Mitarbeiter der internen Abteilung der Nachrichten auftreten würden.
    Wir waren alle so aufgeregt, dass die viele Arbeit, die wir investierten, uns gar nicht anzumerken war. Und das, obwohl wir in unserer Funktion als Organisationsteam alles vom Programm bis zu den Plakaten im poppig bunten Stil selbst entwarfen. Das Ergebnis von »Red Oriental Horizon« war ein nie da gewesener Erfolg. Was für ein enthusiastisches Spektakel, sprudelnd vor Ideen und Originalität, dabei herauskam, davon kann man sich heute noch im Internet überzeugen.
    Doch das war dann auch schon unsere letzte Verrücktheit. Wir waren inzwischen bereits im Internet-Zeitalter angelangt. Niemand von uns hatte eine Ahnung, wer der Wichtigtuer war, der sich bewogen fühlte, seine Brillanz mit der Öffentlichkeit teilen zu müssen, und voreilig das Video mit unserer Show ins Netz stellte. Damit jedenfalls war der Ärger programmiert. In diesem weithin von Humorlosigkeit geprägten Land wurde die Performance der Programmleiter als Vergehen betrachtet: »Eine Schamlosigkeit ohnegleichen« , »Seht nur, die Hofberichterstatter der Partei«, »Zweideutig«, »Liberalistisch«, »Eine Schande für die Journalisten« und dergleichen Kommentare mehr prasselten auf uns ein. Sie nahmen tagtäglich an Heftigkeit zu und wurden für die Funktionäre des Senders zu einer immensen Belastung. Offenbar kam niemandem in den Sinn, dass ebendiese Leute 364 von 365 Tagen im Jahr für die Sendungen »Oriental Horizon« , »Fokus Interview«, »Nachrichten unter der Lupe« oder »Nachrichten direkt« unterwegs waren, ihr Bestes gaben und alles aus- und zusammenhielten. Und wenn sie dann einmal an ihrem einzigen Festtag ein Programm nach Lust und Laune als Jux zusammenstellten, wurden sie dafür öffentlich abgestraft.
    Schließlich erhielten wir die Order, sämtliche existierenden Videoaufzeichnungen unseres Neujahrsspektakels zurückzuziehen und zusammen mit den Plakaten sowie den Programmheften einzusammeln und unter Verschluss zu halten. Das Ergebnis war, dass die Jahresfeiern fortan öde Veranstaltungen wurden, die nichts als Friede, Freude, Eierkuchen ausstrahlen durften und bierernst und übervorsichtig daherkamen. Keine Streiche, keine Satire mehr – man

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