Sind wir nun gluecklich
in Kauf, die Sendezeit mit unserer fortlaufenden Berichterstattung um zwanzig Minuten zu überziehen. Ich wollte einfach jede Minute seiner Anwesenheit im Irak nutzen, nicht, um damit irgendetwas zu beweisen, sondern aus journalistischem Verantwortungsgefühl.
Einige Tage später musste Shui Junyi auf Weisung des Senders erneut und endgültig den »Rückzug« aus dem Irak antreten. Diesmal ließen sich zwar nicht ganz so viele kritische Stimmen vernehmen, ganz verstummt waren sie trotzdem nicht. Niemand hatte Verständnis dafür, dass Shui Junyi so mir nichts, dir nichts wieder im Irak auf der Bildfläche erschienen war, nur um kurz darauf erneut genauso sang- und klanglos zu verschwinden. Die Leute machten ihrem Unmut Luft, während Shui Junyi leider selbst keine Stellungnahme zu seiner Verteidigung abgeben durfte. Sein Weggang geschah auf einen Befehl, dem er sich nicht widersetzen konnte, und sein Wiederauftauchen wiederum war dem Drängen seines eigenen Gewissens geschuldet. Seinen Ruf konnte er ohnehin nicht mehr retten, aber auf diese Weise konnte er ein bisschen mehr mit sich selbst im Reinen sein.
Das war nur eine kleine Anekdote am Rande unserer Berichterstattung über den Irakkrieg. Eigentlich kaum der Rede wert, aber viele von uns werden sie nie vergessen.
Noch lange Zeit war der Krieg mit wechselndem »Schlachtenglück« im Gange, wobei der Irak bei weitem nicht so auf Leben und Tod zu kämpfen schien, wie Saddam Hussein es darstellte. Allein sein Propagandaminister schien die Rolle des übermächtigen Gegners weiterzuspielen und brüstete sich damit, dass der Krieg nicht mehr lange dauern werde. Eines Nachmittags, wir waren nicht auf Sendung, befand ich mich auf dem Weg vom Fernsehsender zu einem Vortrag in der Parteischule des Zentralkomitees, aber ich war noch nicht lange unterwegs, als ich einen Anruf erhielt: Die amerikanischen Truppen haben Bagdad erreicht, wir berichten, komm sofort zurück.
Nur wenige Minuten später war ich vor Ort im Sendesaal und moderierte die Sendung. Da die US-Truppen nun bereits Bagdad angriffen, würde das Ende des Krieges wohl tatsächlich nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Nach dem Ende der Sendung machte ich mich eilig auf den Weg zur Parteischule, wo über tausend Lehrer und Schüler bereits seit einer ganzen Weile auf mich warteten. Dennoch machte mir niemand einen Vorwurf. Hier konnte jeder verstehen, dass eine wichtige Angelegenheit auch einmal eine massive Verspätung entschuldigt.
Als dann einige Tage später die Berichterstattung über den Irakkrieg eingestellt werden konnte, hatte auch CCTV sowohl bezüglich der Einschaltquoten als auch hinsichtlich der öffentlichen Meinung seine ganz persönliche Schlacht geschlagen. Wie die Realität bewies, müssen bei der Weiterentwicklung unseres Nachrichtenprogramms zwar die Regeln respektiert werden, aber bei Chinas tagtäglicher Zunahme an Bedeutung als Großmacht können sich weder das Land noch das staatliche Fernsehen leisten, sich von den wichtigen Ereignissen in der Welt fernzuhalten. Die direkte Berichterstattung ist ein Zugeständnis an unsere Zuschauer wie an unser Zeitalter.
Während unsere Aufmerksamkeit vom Krieg im Irak abgelenkt war, hatte sich in China das SARS-Virus so geschickt, als sei es ein vernunftbegabter Geist, von Süd nach Nord ausgebreitet. Nun hatte offensichtlich auf unserem eigenen Territorium ein Krieg ganz ohne Rauchschwaden seinen Lauf genommen. Aber davon später.
Der Horizont des Ostens ist nicht länger rot
Winter 2009. Ich halte eine Rede in einem Pekinger Gymnasium, als ein Student aufsteht und fragt: »Ich habe im Internet eine Videosequenz Ihres Programms ›Red Oriental Horizon‹ gesehen, es handelte sich offenbar um eine interne Jahresfeier der Mitarbeiter der Sendung. Ich war ziemlich erstaunt darüber, Sie und Ihre Kollegen dort zu sehen, wie sie singen, lachen und Possen reißen. Was soll man davon halten?«
Ich lächelte. Diese Fragen sind mir nicht fremd. Ich habe sie in den vergangenen Jahren immer wieder zu hören bekommen und bin längst daran gewöhnt. Ich antwortete:
»Ich wundere mich weniger über Ihre Frage als über Ihre Verwunderung. Kein Mensch ist eindimensional, schwarz oder weiß, wir alle sind komplexe Wesen mit vielen Facetten. Wenn wir in unserem Privatleben die gleiche Miene zur Schau trügen wie während unserer Nachrichtensendungen, wäre unser Leben ganz schön langweilig. Anders gesagt, wir alle haben zwei Seiten, genauso wie jeder
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