Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sind wir nun gluecklich

Sind wir nun gluecklich

Titel: Sind wir nun gluecklich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bai Yansong
Vom Netzwerk:
gehörig ins Auge. Es sah so aus, als ob diese amerikanische Tragödie es nicht geschafft hätte, an unsere »Großherzigkeit« zu rühren. Und nun konnte man dieser Ausstellung die Irritation über unser peinliches Schweigen ablesen.
    So hinterließen die Terroranschläge vom 11. September in den USA ebenso im fernen China eine »Wunde«, wenn auch anderer Art. Wir können dieser Wunde immerhin dankbar sein, dass sie uns zum Nachdenken über die wahre Aufgabe und Verantwortung der Medien gebracht hat.
    Die Standpauke, die mir die Dame hielt, welche ich am Anfang dieses Abschnitts erwähnte, war Ausdruck der Enttäuschung, die unweigerlich auf eine bestimmte Erwartungshaltung folgt, und auch der Ausdruck eines Verantwortungsgefühls, das über die eigenen Interessen hinausgeht. Ich werde ihre Worte mein Leben lang im Gedächtnis behalten. Obwohl es nicht genügen wird, wenn ich der Einzige bin, der sich daran erinnert.
    Der Irakkonflikt
    Es war 2003, und der Konflikt war noch nicht offen ausgebrochen, als alle Welt bereits witterte, dass ein militärischer Angriff kurz bevorstand. Obwohl man immer noch von Verhandlungen und Sanktionen redete, war so gut wie jedermann klar: Ein Krieg war unvermeidlich.
    Vielleicht weil die Kritik und die Unzufriedenheit mit CCTV nach dem 11. September zu groß war oder auch weil diese Unzufriedenheit Leute auf verschiedenen Ebenen endlich dazu gebracht hatte, über den eigenen Standpunkt nachzudenken und ihn zu revidieren, bereitete der Sender sich im Fall des Irakkriegs schon frühzeitig auf eine Liveberichterstattung vor. Das Neujahrsfest war kaum vorüber, als ich persönlich vom stellvertretenden Nachrichtenchefredakteur Luo Ming die Weisung erhielt: »Ab sofort beschränkt sich dein Aktionsradius auf fünfzehn Autominuten Entfernung von der Sendezentrale, damit du im Fall eines Kriegs im Irak jederzeit mit der Reportage loslegen kannst.«
    Das klang so leicht dahingesagt, aber die Entschlossenheit hinter dieser vermeintlichen Leichtigkeit war unüberhörbar. In den langen Jahren bei CCTV hatte ich noch nie einen so herausfordernden Befehl erhalten. Auf jeden Fall machte ich mich mit Verve ans Werk.
    Als sich am Vormittag des 20. März der Vorhang zum Drama des Irakkriegs hob, war CCTV sofort live dabei, und ich war anschließend für zwanzig Tage fester Bestandteil der Sendungen. Damals gab es noch keinen 24-Stunden-Nachrichtenkanal, die Beiträge kamen wie gewohnt in den konventionellen Nachrichtensendungen. Für CCTV bedeutete das dennoch zum ersten Mal in der Geschichte des Senders die umfassende Berichterstattung über einen Krieg mit unberechenbarem Verlauf und Ausgang, über ein sich im Ausland abspielendes Ereignis, das ein Medienereignis wurde, weil sämtliche Medien der Welt daran teilhatten.
    Im Gespräch mit einem Reporter der Zeitschrift Southern Weekly schilderte ich meinen persönlichen Eindruck:
    »Wir berichten derzeit über eine Tragödie. Dieser Konflikt dauert bereits viel länger, als sich die meisten Menschen vorgestellt hatten, und er wird vermutlich auch in absehbarer Zeit noch nicht zu Ende sein. Was die Berichte des Fernsehens angeht, liegt unsere größte Herausforderung darin, vorsichtig und überlegt zu beurteilen, welche Informationen richtig und welche falsch sind. Denn es gibt hier den wirklichen Krieg und den Krieg, auf den die Medien direkt Einfluss nehmen, und aus diesem Grund bedienen sich beide Seiten der Medien, um die andere Seite zu verwirren. Das bringt für uns eine enorme Herausforderung mit sich. Doch die wahre Herausforderung habe nicht ich hier in Peking zu bewältigen. Für mich genügt es, ruhig und zuverlässig zu kommentieren, nichts weiter. Die größere Herausforderung liegt bei unserem Korrespondenten Shui Junyi, der sich jetzt schon seit einer ganzen Weile vor Ort im Irak befindet und der nicht nach vorgegebenen Mustern arbeiten kann.«
    Anfang Februar war Shui Junyi nach Bagdad gefahren, und wir beide hatten nachfolgend die Sendung »Der Draht nach Bagdad« auf die Beine gestellt. An der wolkenverhangenen Kriegsfront fabrizierte Shui Junyi in großem Stil Reportagen und Interviews und kümmerte sich um die Nachrichtenübermittlung an den Sender wie auch die Liveberichte über die Kriegsvorbereitungen.
    Und dann geschah das Unerwartete: Als der Kriegsausbruch unmittelbar bevorstand, informierte man Shui Junyi, dass er aus Sicherheitsgründen den Irak sofort zu verlassen habe. Die Mitteilung kam einem Befehl gleich. Da die

Weitere Kostenlose Bücher