Sind wir nun gluecklich
Geschichtsauffassung, die dieser Ort vermittelt, auch sein mag, es wäre falsch, davon auszugehen, dass alle Japaner so denken. Es gibt in Japan viele unterschiedliche Ansichten zu diesem Thema, und die Yasukuni-Anhänger sind eher in der Minderheit. Es werden heutzutage kaum Geschichtsbücher verwendet, die ein verfälschtes oder geschöntes Bild des Zweiten Weltkriegs vermitteln. Das heißt trotzdem nicht, dass man nicht wachsam sein muss.
An der Rikyu-Universität in Kioto gibt es ein Friedensmuseum, dessen Ausstellung in scharfem Kontrast zur Ideologie des Yushukan-Museums steht. Als wir dort filmten, entdeckten wir eine ganz andere Seite Japans: Reflexion, Schuldbewusstsein, den Wunsch nach Frieden. Besonders viele Besucher waren dort aber nicht unterwegs.
Danach besuchten wir auf der Insel Kagoshima an der Südspitze Japans noch die »Friedenshalle« zum Gedenken an die Kamikaze-Piloten. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs warb das japanische Militär eine ganze Reihe junger Piloten an, die mit ihrer Anwerbung eine Fahrkarte in den sicheren Tod gelöst hatten. Ihre Aufgabe war es, unter Einsatz ihres Lebens mit ihren Maschinen amerikanische Militärflugzeuge oder Kriegsschiffe zu rammen. Sie flogen los und kehrten nie zurück.
In dieser Gedenkhalle erinnerte nichts an den unverhohlenen Geist des Militarismus, wie er im Yasukuni-Schrein beschworen wird, aber ihre Atmosphäre glich auch nicht der nachdenklichen Geschichtsreflexion des Kiotoer Friedensmuseums. Die Ausstellung zeigt den menschlichen Faktor des Kriegs, schließt mit den Gesichtern der Mütter, »der wehmütigen Erinnerung an die jungen Menschen, die ihr Leben lassen mussten« , sie bietet einen ambivalenten Blick auf die Historie.
Weil wir das erste chinesische Fernsehteam waren, das der Gedenkhalle einen Besuch abstattete, erwarteten uns vor der Tür die Kameras dreier japanischer Fernsehteams. Ich nahm ihnen gegenüber kein Blatt vor den Mund: »In dieser Gedenkstätte gibt es viel Gefühl, aber wenig Reflexion. Es ist von japanischen Müttern die Rede, aber was ist mit den Müttern anderer Völker?«
Man muss der Fairness halber sagen, dass es in Japan beileibe nicht wenige Menschen gibt, die sich mit der Geschichte ihres Landes kritisch auseinandersetzen, darunter auch viele einflussreiche Persönlichkeiten.
Die Tageszeitung mit der weltweit höchsten Auflage ist Japans Yomiuri Shimbun mit über zehn Millionen verkauften Exemplaren. Auch die Asahi Shimbun gehört zu den zehn auflagenstärksten Zeitungen der Welt, beides Zeitungen, die über Japans Grenzen hinaus weltweiten Einfluss haben.
Man kann sich unschwer vorstellen, welches enorme Echo es in Japan ausgelöst hat, dass der Herausgeber der Yomiuri Shimbun , Tsuneo Watanabe, und der Chefredakteur der Asahi Shimbun , Yoshibumi Wakamiya, in einem Gespräch über die japanische Geschichte den offiziellen Besuch des Premierministers im Yasukuni-Schrein öffentlich kritisierten und dazu umfangreiches historisches Material zum Beleg des japanischen Angriffskriegs und des Nanjing-Massakers zitierten. Die beiden sind davor nicht zurückgeschreckt.
Bei den Dreharbeiten in Japan mussten wir natürlich früher oder später auch Tsuneo Watanabe und Yoshibumi Wakamiya interviewen. Watanabe ist ein Mann von über achtzig Jahren, und sein Einfluss zeigt sich schon an seinem Spitznamen »Medien-Präsident«. Nachdem unser offizielles Interview beendet war, bezeichnete er mir gegenüber mit eigenen Worten den amtierenden japanischen Ministerpräsidenten als einen »Volltrottel«. Mir war es zwar ein bisschen peinlich, das zu übersetzen, aber es ließ keinen Zweifel an Watanabes Unzufriedenheit mit der seinerzeitigen Regierung seines Landes.
Was den Yasukuni-Schrein betrifft, hatte er eine eindeutige Haltung: »Selbstverständlich sollte ein japanischer Premierminister dort nicht hingehen.« Und er selbst? »Sie lassen meinen Hund nicht rein, also war ich auch noch nie dort.«
Eine Sache bereitete ihm Sorgen: »Ich bin schon über achtzig. Diejenigen, die wie ich den Krieg noch miterlebt haben, werden immer weniger. Deshalb dürfen wir nicht lockerlassen, sonst geht uns die Wahrheit über die Geschichte verloren.«
Bevor wir unsere Zusammenkunft beendeten, stellte Watanabe unvermittelt mir eine Frage: »Was kann Japan tun, um China zufriedenzustellen?«
Ich sagte: »Nun, wir alle wissen, wie Deutschland mit der Geschichte umgeht, dass ein deutscher Kanzler einmal in aufrichtiger Demut vor dem
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