Sind wir nun gluecklich
Ehrenmal der Helden des Ghettos in Warschau niedergekniet ist und damit einen entscheidenden Beitrag zur Völkerverständigung geleistet hat. Wenn China eines Tages spüren kann, dass sich Japan ernsthaft mit den Gräueltaten seiner Geschichte auseinandersetzt, wäre das für beide Seiten ein wichtiger Schritt vorwärts.«
Der alte Mann schwieg zunächst nachdenklich, dann sagte er: »Wissen Sie, ich bin nicht der Premierminister. Wenn ich es wäre, dann würde ich diesen Schritt tun.«
Ich glaubte ihm jedes Wort. Kollegen und Vorbilder wie Watanabe sind für mich in ihren Worten und Taten der Beweis für die Existenz einer anderen Seite Japans als die der Geschichtsverdreher.
Japaner werden gern als »ambivalent« bezeichnet, und ich finde, was ihre Einstellung zur Vergangenheitsbewältigung angeht, trifft dieser Begriff den Nagel auf den Kopf. Es sind wenige, die dem Yasukuni-Schrein huldigen, aber es sind auch wenige, die so offen und deutlich für eine kritische Vergangenheitsbewältigung eintreten wie der Herausgeber der Yomiuri Shimbun . Die Mehrheit der Japaner steht ihrer Geschichte ambivalent gegenüber. Sie wissen im Grunde, dass der Krieg falsch war, sich aber laut und deutlich zu dieser Meinung zu bekennen fällt ihnen schwer. Ein Universitätsprofessor fragte mich zum Beispiel einmal, ganz ohne böse Absicht: »Hat die Invasion der Japaner in China dem damaligen China nicht auch geholfen?«
Ich sah ihn an und antwortete ihm in einem bewusst scherzhaften Ton: »Wären Sie nicht ziemlich aufgebracht, wenn ich ungebeten zu Ihnen nach Hause käme, um Ihre Wohnung zu renovieren?«
Bestürzt sagte er hastig: »Sie haben recht, sicher wäre ich das.«
Im Grunde legen sich die Japaner mit ihrer ambivalenten Haltung nur selbst Ketten an. Solange sie nicht aufwachen und nachdenken, so lange tragen sie auch die Last der Geschichte auf ihren Schultern mit sich herum, und die Völker in ihrer Nachbarschaft werden sie niemals vollkommen akzeptieren.
Japan, wie lange willst du dir noch leisten, so ambivalent zu bleiben?
Japan altert
So schwer die Vergangenheit wiegt, die Gegenwart ist auch nicht gerade leicht. Innerhalb der vergangenen zwanzig Jahre hat sich das japanische Wirtschaftswunder in nichts aufgelöst, der Rückgang der Wirtschaftsleistung bereitet den Japanern große Sorgen. Als ich aber einen japanischen Experten nach der größten Herausforderung für das gegenwärtige Japan fragte, erhielt ich die Antwort: »Der Bevölkerungsschwund.«
Die jährliche Geburtenrate Japans sinkt von Jahr zu Jahr. Mit der Wirtschaftsleistung geht es bergab, deshalb setzen die Japaner weniger Kinder in die Welt. Je niedriger aber die Geburtenrate ist, desto schwächer wird in Zukunft auch die Wirtschaftskraft, es ist ein Teufelskreis. Gleichzeitig überaltert die Gesellschaft. Japan gehört zu den Ländern der Erde mit der höchsten Lebenserwartung, schon jetzt ist einer von vier Japanern älter als 65 Jahre. Diese Tatsache behindert Japans Handlungsfähigkeit. Kein Wunder also, wenn Experten der Meinung sind, dass es falsch ist, die Schuld für die Rezession in einem Komplott der USA oder in Japans geringer Flexibilität zu suchen. Eine der wesentlichen Ursachen dafür ist, dass Japan bereits das Zeitalter der Überalterung erreicht hat, vom Konsum bis zum Arbeitsmarkt, von der Altersvorsorge, die der Staat leisten muss, bis hin zum Mangel an Dynamik, das Alter ist ein wesentlicher Faktor der Rezession.
Ich wollte in Japan vor allem herausfinden, wie man mit diesem Problem umgeht. Denn es wird nicht allzu lange dauern, bis China vor demselben Problem steht.
Eine der Reaktionen ist in Japan die Wiederbeschäftigung von Rentnern. In Japan geht man normalerweise im Alter von sechzig Jahren in den Ruhestand bei einer Lebenserwartung von durchschnittlich achtzig Jahren. Bei wachsendem ökonomischem Druck ist das also mit hohen Kosten für die Gesamtgesellschaft verbunden. Deshalb haben japanische Arbeitsämter einen eigenen Schalter für arbeitsuchende ältere Menschen eingerichtet, und die japanische Regierung sucht geeignete politische Mittel, um für Alte entsprechende Angebote zu schaffen. Wegen der Heraufsetzung der Altersgrenze ist zum Beispiel der Großteil der Taxifahrer im Rentenalter, genauso wie die Gärtner in den Parkanlagen und die Kassierer an den Mautstellen der Autobahnen. Das ist das neue Rot von Japans »untergehender Sonne«.
In Japan darf man alten Leuten in der U-Bahn bloß keinen Sitzplatz
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