Sind wir nun gluecklich
ehemaligen Mitschüler, die wie ich in Peking leben, machen keine Unterschiede zwischen guten und weniger guten Freunden unter den alten Bekannten. Jeder, der mit uns zur Schule ging, ist wie ein naher Verwandter. Abgesehen von gelegentlichen informellen Treffen haben wir den 1. September jedes Jahres zu einem festen Datum für ein Wiedersehen gemacht, zum »Schulanfang« sozusagen.
Einmal las ich im Flugzeug in einer Zeitschrift ein Interview mit dem Regisseur Kang Honglei. Er komme – wie ich – aus der Inneren Mongolei und kehre jedes Jahr zum Ehemaligentreffen in die Heimat zurück. Dann müssten keine Sprüche geklopft werden, und man rede auch nicht von »unseren Sturm-und-Drang-Zeiten«, man spreche von »früher« und trinke viel, alles sei erlaubt, und wer es schaffe, sein Glas leerzutrinken, sei eins mit sich und den Mitschülern. »Der Bursche hat sich nicht verändert«, heiße es dann, »immer noch ganz der Alte.«
Beim Anblick dieser Zeilen tropften mir Tränen auf die Zeitschrift, und ich verzichtete darauf, den Rest zu lesen. Es war, als wäre es meine eigene Geschichte.
Meine Kommilitonen aus Hochschulzeiten kommen nicht unbedingt aus der mongolischen Steppe, aber trinkfest sind sie genauso. Einer von ihnen, der aus Tianjin stammt, prägte einmal ein klassisches Bonmot: »Jedes Mal, wenn ich mich mit meinen ehemaligen Mitstudenten getroffen habe, erinnere ich mich nur an die erste Hälfte, von der zweiten Hälfte erzählen mir die anderen dann bei unserem nächsten Treffen.«
Ich fürchte allerdings, es geht den meisten von uns so wie ihm.
Zum Jubiläum des zwanzigsten Jahres nach unserem Examen trafen wir uns unter dem Motto »Wenigstens dich gibt es noch«. Egal, wie die Zeiten sich ändern, egal, ob du erfolgreich warst oder nicht und ob mehr Tränen als Lachen auf deinem Weg lagen – Hauptsache, es gibt dich noch.
Vor dem Treffen baten wir jeden um ein altes Foto von sich aus der Studienzeit und stellten die Bilder zu einer Collage zusammen. Zu Beginn der Feier versammelten wir und unsere ehemaligen Dozenten uns in unserem alten Klassenzimmer auf dem Campus. Als sich alle die alten Fotos ansahen, begann das große Rätselraten. Viele waren nach all den Jahren nicht wiederzuerkennen, und manchmal passierte es einem, dass er sich selbst kaum identifizierte. Die Sentimentalität hielt schon während all diesem »Wer ist das denn? Das ist doch der«-Geschnatter Einzug. Wenn man dann den Nachwuchs zwischen den Tischen spielen sah, wusste man schon nicht mehr recht, ob man sich in der Vergangenheit oder der Gegenwart befand. Sind wirklich schon zwanzig Jahre vergangen?
Und dann die dummen Witze. »Mensch, war ich damals unsterblich in dich verliebt, wie heißt du noch gleich?« – Und dann schenkte man unter dem lauten Grölen der anderen der vorgeblich Angebeteten einen ein.
Was man aber am häufigsten hörte, war der Spruch: »Du hast dich überhaupt nicht verändert.« Wenn man gemeinsam mit den anderen älter geworden ist, merkt man auch keine Veränderungen. Wenn wir uns dann aber die heutigen Studenten ansahen, die uns auf dem Weg über den Campus begegnet waren, blieb uns das Lachen im Halse stecken. All die Sprüche von wegen »Du hast dich gar nicht verändert« waren doch nichts als Selbstbeschummelung.
Natürlich wurde bei solchen Treffen auch Musik gehört. Einmal brannten wir eine CD mit den Liedern, die zu unserer Zeit populär waren, insgesamt zweieinhalb Stunden, und legten sie während des Treffens zum Tanzen auf. Die Songs aus der alten Zeit zu hören war tröstlich, da fühlten wir uns gleich viel jünger.
Am Ende einer dieser größeren Zusammenkünfte, das Essen war gegessen, getanzt wurde auch nicht mehr, und die Betrunkenen waren schon wieder nüchtern, hatten wir keine Lust, jetzt schon auseinanderzugehen. Wir setzten uns draußen auf den nackten Betonboden und begannen, die Lieder zu singen, an die wir uns noch erinnerten, so lange, bis niemandem mehr eines einfiel.
Das Jahr 2009 musste natürlich besonders groß gefeiert werden, und es wurden zur Planung dieses großen Ereignisses zuvor fast zehn Treffen abgehalten. Am Ende kamen mehrere hundert Leute, wir spielten Fußball und tanzten, es war eine große Wiedersehensfeier. Die Organisatoren hatten ganze Arbeit geleistet, und die Kommilitonen mischten kräftig mit, genau wie die Hochschule, es wurde ein unvergessliches Ereignis. Es gefiel uns so gut, dass einige von uns ein Jahr später die »Feier zum Jahrestag
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