Sind wir nun gluecklich
des Zweiten Weltkriegs befand sich Herr Ji gerade als Student in Deutschland und konnte wegen der Kriegswirren erst nach zehn Jahren nach Hause zurückkehren. In dieser Zeit erkrankte er an ernsthafter Insomnie und konnte ohne Tabletten nicht mehr schlafen. Er wurde nie davon geheilt und nimmt seit siebzig Jahren Schlaftabletten.
Der alte Mann bat mich darum, dieses Thema publik zu machen. Immer hieße es, Schlaftabletten zu nehmen sei gesundheitsschädlich, dabei sei er ein lebendes Beispiel für das Gegenteil, er habe seit siebzig Jahren keine Probleme damit.
Eine Zeitlang wollte ich, der ich einst Russisch gelernt hatte, doch noch Englisch sprechen können und schrieb mich beim Wall Street Institute für einen entsprechenden Kurs ein. Als die Schule einmal einen Empfang für George Bush senior veranstaltete, saß neben mir ein alter Mann, der aussah wie etwas über sechzig, wie sich herausstellte, aber tatsächlich schon über achtzig Jahre alt war. Ich erfuhr, dass er der ehemalige Direktor des Pekinger Freundschaftskrankenhauses war. Ich war verblüfft.
»Sie lernen hier Englisch?«
Der alte Mann antwortete: »Ja, klar.«
Ich konnte es gar nicht fassen. »Aber Sie sind doch Arzt und Direktor eines Krankenhauses, Ihr Englisch ist doch bestimmt sehr gut.«
Er meinte: »Es geht so. Mein Englisch besteht vor allem aus Fachvokabular und ist schon ziemlich veraltet. Ich möchte gern modernes amerikanisches Englisch lernen.«
Diese Konversation hatte mich so beeindruckt, dass ich die Geschichte sogar im Jahresrückblick unserer Sendung erwähnte. Dass ein alter Mann mit achtzig sich noch einmal anschickte, aus bloßem Interesse ohne jeden praktischen Grund Englisch zu lernen, sollte uns Jüngeren zu denken geben. So etwas gehört zu den Stärken der alten Leute und macht sie für uns zu spannenden Vorbildern.
Mit all diesen alten Menschen, die ich erwähnt habe, bin ich nicht unbedingt häufig in Kontakt, weil unsere Lebenswege sich nicht so leicht kreuzen. Aber beim Lesen ihrer Geschichten, beim Hören ihrer Vorträge und beim Studium ihrer Lebensphilosophie fühle ich mich ihnen sehr nah. Sie bringen mich zum Lachen und zum kritischen Nachdenken, als wären sie gute alte Bekannte, mit denen ich mich regelmäßig austausche. Ich schreibe hier über sie, weil ich ihnen unendlich dankbar bin.
Eine Gesellschaft, in der es viele liebenswerte alte Leute gibt, ist eine liebenswerte Gesellschaft. Ich frage mich, wie ich wohl in ein paar Jahrzehnten als alter Mann sein werde. Ich hoffe, ich werde dann immer noch klassische Musik und Rockmusik hören wie zuvor und so verrückt wie ein junger Mann daherreden, nachts mit meiner Frau ein Eis essen gehen, gegenüber den Jungen immer lächelnd, tolerant und nachsichtig sein, sie schätzen und es gut mit ihnen meinen, nicht auf der Stelle stehen bleiben, sondern weiter lernen, keinen Groll gegenüber der Vergangenheit hegen und der Zukunft optimistisch entgegensehen – und nicht einer von den Alten werden, die alles Neue verachten und schlechtmachen. Und noch wichtiger wird sein, sich nicht dem Fortschritt entgegenzustellen, sondern weiter sein Befürworter und Motor zu bleiben. Die Dinge, die sich die jungen Leute nicht zu sagen wagen, werde ich sagen können, denn im Rot der untergehenden Sonne gibt es nichts mehr zu fürchten. Und die Tür meines Hauses wird jungen Menschen und jungem Denken immer offen stehen …
Das sollte genügen. Wenn ich das alles wirklich hinbekomme, wäre ich schon heute am liebsten alt. Aber warum sollte ich die Entscheidung für dies alles erst morgen treffen? Vielleicht kann ich ja schon heute über meine Zukunft als alter Mann bestimmen.
Lehrer
Mit den Reformen der vergangenen dreißig Jahre haben wir uns vieler alter Bezeichnungen entledigt. Ein Opfer dieser sprachlichen Veränderungen ist die Bezeichnung »Fräulein«, und auf der Strecke geblieben ist auch der gute alte »Genosse«. Vielleicht kommt als Nächstes der »Professor« an die Reihe. Das Wort »Lehrer« wird im Moment stattdessen im Überfluss verwendet, man hört es an jeder Ecke als Bezeichnung für jedermann. Ich möchte hier allerdings über Lehrer im wirklichen und ursprünglichen Sinn schreiben.
Ich bin in einem Lehrerhaushalt groß geworden, Vater, Mutter, Tante, Onkel, Großtante, Schwägerin … alle sind sie Lehrer. Eine solche Umgebung führt natürlich dazu, dass man jeden Lehrer für ein Familienmitglied hält, und vielleicht sind sie das auch.
Moderne Mütter
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