Sind wir nun gluecklich
darauf in eine Tragödie. Bei einem Überholversuch mit dem Auto stieß der Wagen des Paars mit einem Lastwagen zusammen, und beide wurden schwer verletzt.
Sie kamen mit dem Leben davon und wurden in ein Krankenhaus eingeliefert. Als mein ehemaliger Lehrer sich mühsam aufrappeln konnte, um nach seiner im Nebenzimmer des Krankenhauses liegenden Frau zu sehen, und ihren schlechten Zustand erkannte, in dem sie mehr einem Gemüse als einem Menschen glich, soll er gesagt haben: »Ich will nach Hause …«
In diesem Moment spielten Politik, Ideologie und alte Feindschaften keine Rolle; er war nur noch ein kleines Kind, dem man gerade einen Spielkameraden geschenkt hatte, und nun war Gott hingegangen und hatte ihn zerschmettert.
Diese Geschichte hatte er so selbst in einem Brief an Cao Lu erzählt. Lehrer Cao meinte zu mir, er könne zwischen den Zeilen dieses Briefes, der über den Ozean gekommen war, in diesem »Ich will nach Hause«, die Spuren von Tränen sehen. Es waren viele Jahren ins Land gegangen, die Zeiten hatten sich geändert und die Menschen, aber es gab noch immer heikle und gefährliche Themen. Dieser Brief hatte trotzdem den Weg zu Cao Lu gefunden, denn bei einem Lehrer kann man Fehler begehen, sein Leid klagen, sich aussprechen und sich Ratschläge erhoffen wie zuvor. Ein guter Lehrer ist nicht nur eine Stütze aus der Vergangenheit, auch nach vielen Jahren noch bleibt er ein schützender Hafen, in den man zurückkehren kann. Kein Wunder, dass man sagt, dass Lehrer und Arzt die beiden heiligsten Berufe sind. Einer heilt körperliche Krankheiten, und der andere sorgt für geistige Gesundheit. Beide Berufe verdienten, dass man ihrer Berufsbezeichnung das Zeichen für »Tugend« anfügt.
Nach dem Universitätsabschluss gab es in meinem Leben keine Lehrer im strengen Sinne mehr, aber im Lauf der Zeit waren da zahlreiche Menschen, die mich vorangebracht haben und so in die Rolle meines Lehrers geschlüpft sind. In den mehr als zwanzig Jahren, seitdem ich mit 21 von der Uni gegangen bin, haben viele diese Rolle übernommen. Meine Dankbarkeit drückt sich aber nicht nur in Worten aus, sondern vor allem darin, die Unterstützung, die ich selbst erfahren habe, bei jeder Gelegenheit an junge Menschen weiterzugeben. Mehr als bloß seiner eigenen Lehrer zu gedenken ist, selbst zum Lehrer zu werden und es vielleicht sogar besser zu machen als die eigenen.
Mitschüler
Wenn man wie ich in der Lebensmitte angekommen ist, hört man Gleichaltrige des Öfteren witzeln: »Wir sind alt geworden. Das merkt man daran, dass früher alles so klar und deutlich schien, und jetzt weiß man am Nachmittag schon nicht mehr, was man am Vormittag gemacht hat.«
Wenn das heißt, dass wir alt geworden sind, dann fühle ich mich besonders alt, denn bei jeder Zusammenkunft mit meinen Freunden geht es uns so. Wir sitzen zusammen und erinnern uns an jedes Detail aus alten Tagen, als wäre es gestern gewesen, aber fragt man die Leute, was sie in diesen Tagen so treiben, fällt es ihnen nicht mehr ein.
Treffen mit ehemaligen Mitschülern scheinen heute in Mode zu sein, selbst mein Sohn hat bereits häufig solche Treffen, und wenn meine über siebzig Jahre alte Mutter in ihren Heimatort zurückkehrt, freut sie sich am meisten auf das Wiedersehen mit den alten Schulkameraden. Mir ging es schon so, dass ich am Abend zuvor ein solches Treffen hatte und am nächsten Tag vormittags um zehn schon wieder einer der alten Mitschüler vor der Tür stand, um sich, bevor er wieder trinkt, im nüchternen Zustand daran zu erinnern, dass er sich am Vorabend wirklich mit seinen alten Klassenkameraden getroffen hat, weil sich seine Erinnerung nach dem nächsten Glas schon wieder in Rauch auflöst.
Ob eine Klasse tatsächlich immer wieder zu solchen Treffen zusammenkommt, hängt von drei Faktoren ab. Einmal davon, wie groß der Zusammenhalt in dieser Klasse war, dann davon, ob sich einige Enthusiasten finden, die sich die Mühe machen, die anderen aus der Lethargie zu reißen und zu solchen Treffen zu motivieren, und drittens davon, ob die Veranstalter clever genug sind, einen guten und noch nicht allzu abgenutzten Grund für eine Zusammenkunft aus dem Hut zu zaubern.
Mein Jahrgang aus der Mittel- und Oberstufe hält zum Beispiel alle zehn Jahre ein großes Treffen ab und alle fünf Jahre ein mittelgroßes; und wenn ein früherer Kamerad, der weit weg wohnt, in unseren Heimatort zurückkehrt, ist das schon genug Anlass für ein kleineres Treffen. Meine
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