Sind wir nun gluecklich
Widerspenstigen?
Obwohl ich nicht allzu lange als Produktionsmanager tätig war, nur zwei Jahre ungefähr, konnte ich in meiner letzten Phase als Leiter von »Oriental Horizon« ein Phänomen beobachten, an das sich offenbar alle gewöhnt haben, das mich aber mehr und mehr beunruhigt und sogar traurig stimmt. Jeden Morgen nach der Programmkonferenz musste ich feststellen, dass niemand von den jungen Kollegen, die immerhin das halbe Zimmer füllten, Fragen zum Thema oder zum gewählten Format eines Filmbeitrags äußerte, alle warteten nur diensteifrig auf die Zuteilung ihrer Aufgaben, machten sich an die Arbeit, und damit war es auch schon getan.
Eines Tages konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und fragte am Ende der Konferenz: »Warum in aller Welt sagt ihr eigentlich niemals Nein? Warum macht ihr eurem Ärger über Dinge, die euch nicht in den Kram passen, keine Luft? Warum sagt ihr nicht einmal: ›Nein, ich finde, das sollte man so und so machen‹?«
Die jungen Regisseure schauten nur verwundert drein, als verstünden sie gar nicht, was mit mir los sei. Man übernimmt die zugewiesene Aufgabe und erfüllt sie, das war doch das Normalste von der Welt, oder? Was sollte daran verkehrt sein? Wäre es denn überhaupt möglich, dass die von den Produktionsmanagern festgelegten Features von den jüngeren Kollegen kritisiert und entsprechend modifiziert würden?
Aber warum denn nicht? Es kann doch nicht sein, dass in so langer Zeit bei den Konferenzen und im Tagesgeschäft alles immer den Erwartungen der jungen Kollegen entspricht und sie zum Weitermachen motiviert.
Vielleicht fällt es ihnen wirklich nicht auf, vielleicht haben die Zeiten sich aber auch geändert, und es gibt einfach keine David-und-Goliath-Geschichten mehr. Aber wäre es nicht wichtig, das, was man tut, nicht einfach nur als Job zu betrachten, als einen Berg fremdbestimmter Arbeit? Wo bleibt da der Enthusiasmus? Es kann sein, dass man als engagierter Mitarbeiter jemandem auf die Füße tritt oder seinen Vorgesetzten verärgert. Dabei ist es für mich nicht weiter schlimm, wenn das Programm mal nicht besonders gut wird. Aber an seinem Arbeitsplatz als Mensch zu versagen, das ist schon ein großes Problem.
Angesichts dieser Hilflosigkeit und peinlichen Ergebenheit muss ich oft an die Arbeitsatmosphäre von vor zehn Jahren denken, an meine eigene Laufbahn und meinen von zahlreichen Auseinandersetzungen gezeichneten Weg. Seine Aufgaben nach Vorschrift zu erfüllen ist eine Sache, als Mensch seinen Mann zu stehen ist eine andere. Keine der beiden Seiten darf jedoch zu kurz kommen. Im Gegenteil, gerade den Kollegen, mit denen ich mich im Lauf der Jahre oft um die Sache gestritten habe, bin ich für immer in aufrichtigem Respekt verbunden.
Es ist in der Regel sinnvoll, den Mund aufzumachen, wenn einem irgendetwas nicht passt. Am 30. April 1993, dem Vorabend des tatsächlichen Starts von »Oriental Horizon«, hatte ich wegen der Programmorganisation von »Kinder des Ostens« eine Auseinandersetzung mit dem damaligen Produktionsmanager. Es ging darum, dass ich ganz einfach wünschte, endlich mit der Redaktionskonferenz weiterzumachen und an die Arbeit gehen zu können. Stattdessen saßen wir herum und hießen trinkend und plaudernd neue Teammitglieder willkommen, und mir lief die Zeit davon. Ich riskierte in meinem Ärger, umgehend meinen Job zu verlieren und vor die Tür gesetzt zu werden. Damals waren aber solche Auseinandersetzungen durchaus an der Tagesordnung, die Produktionsmanager, die Redakteure und das ganze Programmteam waren daran gewöhnt. Nachdem ich meinem Ärger Luft gemacht hatte, lief die Konferenz nach Plan, der Sturm hatte sich gelegt, und es ging reibungslos voran.
In den ersten Jahren nach dem Start von »Oriental Horizon« gab es in den jeweiligen Drehteams täglich solche Debatten, es ging um die Sache, nicht um persönliche Angriffe. Je mehr Kritik, desto klarer die Richtung – das sollte doch die Arbeitsweise jedes Programms sein. Ganz gleich, wo es langgeht und ob die Köpfe rot vor Zorn werden, die Sendungen haben davon in jedem Fall profitiert und sich ihren Platz im Sender erobert. Außerdem macht auf diese Weise jeder Einzelne im Team die Aufgabe zu seiner eigenen. Wenn jeder darauf vertrauen kann, bei Bedarf eine abweichende Meinung äußern zu dürfen, ohne dass er sich groß Gedanken darüber machen muss, ob er das Gesicht verliert oder Prestige einbüßt, und die Sendung gut gelingt, dann erst kann er stolz auf
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