Sind wir nun gluecklich
freien Lauf zu lassen. Wir können nicht immerzu auf der Stelle treten und uns selbst in Ketten legen …
All das wurde bei den Reformen beachtet und schrittweise in die Tat umgesetzt, jedenfalls sehe ich deutlich das Bemühen der Entscheidungsträger genauso wie der Mitarbeiter darum und auch das Potenzial, das in der Zukunft steckt. Gleichzeitig beobachte ich sehr genau, ob es sich hier nur um ein bloßes Echo der Reformen um das Aushängeschild »Oriental Horizon« handelt oder um den Beginn einer wirklich neuen, zukunftsgerichteten Welle von Reformen. Letzteres wäre ein Glück, für uns und unsere Zeit.
In meinen vielen Jahren bei CCTV habe ich mich bereits an die wiederkehrenden Mahnungen gewöhnt. Der übliche Konsens lautet: Was du da machst, mag gut und schön sein, aber erwarte bloß keinen Beifall dafür, denn das ist einfach normal, du bist schließlich bei CCTV. Wenn es einmal durchsickert, dass du etwas nicht gut gemacht hast, dann kannst du dir des Spotts und der Häme der Leute gewiss sein. Weil du beim Staatsfernsehen bist und weil die Leute glauben, dass du in einigen Bereichen ein Monopol hast. Obwohl diese Art von Monopol für den Sender nicht unbedingt nur Gutes mit sich bringt, sondern uns gerade auch viele Restriktionen auferlegt, existiert dieses Monopol, und es wird daher immer schwierig sein, etwas an der Unzufriedenheit der anderen mit unseren Produktionen zu ändern.
Im Sommer 2010 erfuhr ich, dass der interne Leitungsstab von CCTV die über zwanzig Posten der Programmdirektoren nunmehr in einem freien Wettbewerb unter allen daran interessierten Mitarbeitern besetzen wollte.
An diesem Manöver zeigt sich, welchen Grad die neuen Strukturen bereits erreicht haben. Diese Umstände bleiben dem Zuschauer verborgen, aber sie werden sich zweifellos auf dem Bildschirm bemerkbar machen. Ein jüngerer Kollege von mir überlegte, am Bewerbungsverfahren teilzunehmen, und rief deshalb stark verunsichert vorab bei mir an: »Ob ich wirklich eine Chance habe?« Nachdem ich ihn mit den Worten beruhigt hatte: »Natürlich, nimm es ernst …« und seine Bewerbung tatsächlich erfolgreich war, gratulierte ich ihm in einer kurzen Nachricht, der ich anfügte: »Man muss einfach erst einmal an all die Dinge glauben, die man unter der Sonne sieht.«
Posten nach offenen, demokratischen Verfahren zu besetzen ist auf jeden Fall eine gute Sache. Auch wenn ich selbst nicht daran beteiligt war, beglückwünsche und unterstütze ich den Sender bei diesem Versuch, mehr Demokratie zu wagen. Ich hoffe, dass die erfolgreichen Wettbewerber mehr Idealismus mitbringen, den Erwartungen der Zuschauer entsprechen und den Mut zum Erleiden von eventuellen Nachteilen und zur Veränderung; denn weder unsere Generation noch unser Publikum werden uns viel Zeit dafür lassen. Nicht aktiv vielleicht, aber passiv, regt sich in mir als Vertreter des Staatssenders ein schwer definierbares Gefühl von Krise. Das ist vielleicht gut so, und ich denke, dass auch der Sender das haben sollte. Denn ein wirkliches Gefühl von Krise gibt nicht nur neue Impulse, es bewirkt zuweilen eine echte Neugeburt.
3 Wörtlich etwa »Verbindung zwischen Zeit und Raum«, Reportagesendung, die aktuelle Nachrichten genauer betrachtet.
4 Das Laternen- oder Yuanxiao-Fest findet am 15. Tag nach dem chinesischen Neujahrsfest nach dem Mondkalender statt (2009 fiel das chinesische Neujahr auf den 26. Januar).
5 Xiao Shenyang ist ein in China bekannter Komiker, der nach seinem Auftritt als falscher Nachrichtenreporter auf der CCTV-Gala zum chinesischen Neujahrsfest 2009 zum Star geworden ist.
Kapitel 2 – Im Rampenlicht
Warum »Selbstmord«?
Eines Mittags, so gegen 13.00 Uhr, erhielt ich überraschend einen Anruf vom stellvertretenden Ressortleiter. Die Stimme aus dem Telefonhörer klang ziemlich nervös. »Bai, mein Guter, ich habe gehört, du hättest dich umgebracht.«
Nach einem kurzen Moment der Irritation antwortete ich schließlich belustigt: »Wieso sollte ich mich denn umbringen?«
»Es ist der Direktor der Zentrale, der mich danach gefragt hat. In einem ausländischen Mikroblog hat jemand gepostet, du hättest Selbstmord begangen und die Polizei untersuche den Fall gerade …«
»So ein Schwachsinn, was soll das …?«
Nach dem Ende des Gesprächs konnte ich mir immer noch keinen Reim auf die Sache machen. Eigentlich sagt man ja, wo Rauch ist, ist auch Feuer, aber heutzutage gibt es ständig Rauch auch ohne Feuer. Das kennen wir schon.
Ich
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