Sind wir nun gluecklich
Respekt und Anerkennung verschaffte, indem man seine Meinung sagte.
Hinter meinen etwas idealistisch anmutenden Ausführungen steckt tiefe Trauer. Wenn junge Leute kein Umfeld haben, in dem diskutiert und gestritten wird, verliert oder verzögert sich zumindest für sie die Möglichkeit, mit ihrem Denken die Welt zu verändern. Und wer schon nicht mehr jung ist und den Verlust der Streitkultur am eigenen Leib zu spüren bekommt, wird früher oder später einen Weg einschlagen, auf dem er immer mehr Fehler begeht. Gewinner gibt es hier nicht. Die »große Harmonie« ist tatsächlich die geringste Harmonie. Wir träumen alle davon, uns groß Demokratie, Freiheit und Gleichheit auf die Fahnen zu schreiben, und merken nicht, dass schon viel erreicht ist, wenn wir damit in unseren eigenen Büros beginnen.
Vor vielen Jahren gab es ein Lied mit folgenden Textzeilen, die dieses Problem treffend beschreiben: »Haben wir die Welt verändert oder ist es die Welt, die uns verändert hat? Und jeder fürchtet die Antwort.« Ist es möglich, dass diese Befürchtung sich längst bewahrheitet hat und dieses Lied schon deshalb von niemandem mehr gesungen wird?
Den Becher umkippen, bevor er überläuft
Zum Beruf eines Nachrichtenmoderators gehört es, öffentlich aufzutreten und das Wort zu ergreifen. Ein Nebenprodukt dieser Rolle ist die allgemeine Bekanntheit, die auch als ein Kriterium dafür gilt, ob man seine Arbeit erfolgreich macht oder nicht. Wenn die Leute den Namen eines Nachrichtensprechers, der mehr als zehn Jahre lang im Licht der Öffentlichkeit gestanden hat, noch immer nicht kennen, dann kann man das durchaus als Problem ansehen.
Aber der Name, den man sich gemacht hat, wird auch gern verhöhnt und verdreht. Das Fernsehen wirkt wie ein enormer Multiplikator, und in Sekundenschnelle wird man zum allgemeinen Gesprächsthema. Es ist so, wie ich es immer wieder gesagt habe: »Wenn CCTV einen Hund ins Studio zerrt, ist er nach einem Monat auf Sendung in ganz China berühmt.« Es stimmt auch, dass, wer sich an einen starken Baumstamm lehnt, mit diesem Baumstamm identifiziert wird.
Dennoch machen viele Moderatoren, obwohl sie es in ihrem Beruf doch eigentlich gar nicht schwer haben, berühmt zu sein, den Bekanntheitsgrad der Leute in ihrer Sendung zum Kriterium für das eigene Können. Dabei besteht zwischen Berühmtheit und Können wahrhaftig nicht immer ein Kausalzusammenhang: Das eine hat mit dem anderen leider oft nicht viel zu tun. Das sind Seifenblasen, die platzen können wie faule Kredite. Nicht jeder scheint sich im Klaren darüber zu sein, dass der Fernsehmoderator nichts anderes ist als ein stinknormaler Mensch.
Ich fürchte oft, mit diesen Seifenblasen zu etwas aufgeblasen zu werden, das ich nicht bin, und fühle mich bei diesem Gedanken gar nicht wohl.
Ende 2000 hatte ich das Gefühl, dass es so nicht weitergehen konnte. Man verpasste mir einen derartigen Heiligenschein, dass einem angst und bange werden konnte. In diesem Jahr hatte ich als Korrespondent und Moderator live von den Olympischen Spielen in Sydney berichtet und durfte anschließend im Privatjet nach Hause reisen. Beim Empfang durch die politische Führungsriege kam Premierminister Zhu Rongji herein und schüttelte zuerst mir und erst dann den Olympioniken die Hand. Obendrein erhielt ich einen Preis nach dem anderen, wie den »Preis der zehn herausragenden Nachwuchstalente«, »Fernsehsprecher des Jahres« und so weiter.
Der Schriftsteller Liu Heng machte sich über mich lustig: »Kleiner Bai, du weißt ja, wenn die Sonne einmal im Zenit steht, geht sie bald hinter einem Berg unter.«
Ich erwiderte: »Keine Sorge, Bruder Liu, sie wird dann an einem anderen Horizont wieder aufgehen.«
Ende desselben Jahres gab ich den Posten des Chefmoderators von »Oriental Horizon« auf, schaltete mein Handy ab und machte mich an die Entwicklung einer neuen Sendung namens »Mitternacht«. Diese Talkshow sollte einen Sendeplatz um 24.00 Uhr bekommen, weswegen schon klar war, dass sich das Programm jenseits des Mainstreams bewegen würde.
Ich hatte nicht erwartet, dass die Vorbereitung der Sendung sich so kompliziert gestalten würde und ich schließlich fast ein ganzes Jahr lang eine Auszeit von meinem Posten dafür nahm.
Es waren ruhige Tage und auch eine Zeit mit nur geringem Einkommen. Damit meine Mutter und die Familie sich keine Sorgen machten, ging ich jeden Morgen früh aus dem Haus und traf mich in einem renovierungsbedürftigen, verlassenen Büro
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