Sind wir nun gluecklich
erhalten, der in zehn knappen, etwas holprigen Versen grundsätzliche Punkte zur Beachtung bei Rettungseinsätzen formulierte. Ich gab die Nachricht gleich an die Kollegen weiter, und kurz darauf liefen diese Verse als Fließtext über unsere Nachrichtenbildschirme. Am darauffolgenden Tag fanden sie sich bereits gedruckt in der Zeitung der Volksbefreiungsarmee und drangen so über ein weiteres Medium zu den Helfern vor. Gewiss wurden nicht allzu viele unmittelbar mit diesen Informationen versorgt, aber aus einem werden zehn, aus zehn werden schnell hundert, es war ein wichtiger Anfang.
In den nächsten Tagen konzentrierten wir uns auf Berichte über Soforthilfemaßnahmen, Epidemienprävention und psychologischen Beistand. Immer wieder betonten wir, wie wichtig die fachkundige Herangehensweise sei. Wang Lixiang, der Direktor des Notfallzentrums des Polizei- und Militärhospitals, und Tao Ran, Psychologe am Pekinger Krankenhaus, waren ständige Gäste bei uns im Studio und gaben öffentlich mit einfachen und klar verständlichen Worten hilfreiches Wissen an alle im Einsatz befindlichen Nothelfer weiter.
Wir spürten sehr bald, dass die Zuschauer vor den Bildschirmen mehr als nur Informationen brauchten. Es herrschte ein zunehmender Bedarf an psychologischem Beistand. Die Bilder und Geschichten, die täglich über den Fernseher flimmerten, rührten die Leute zu Tränen; und sie hatten schon Schuldgefühle, wenn sie nicht andauernd die Nachrichten verfolgten. Es war das erste Mal in meiner Zeit beim Fernsehen, dass ich angesichts dieser Umstände den Appell an die Zuschauer richtete, bitte nicht die ganze Zeit über die Fernsehnachrichten zu verfolgen und auch einmal eine Pause einzulegen. Das solle sich doch niemand auf Dauer antun. Nur wer auf die eigene Gesundheit achte, könne anderen eine Hilfe sein.
Zu diesem Zeitpunkt schien sich das ganze Land auf dem Weg in das Katastrophengebiet zu befinden, jeder auf seine Weise. Es gab welche, die waren vor Ort, um mit bloßen Händen nach Verschütteten zu graben, bis sie am Ende ihrer Kraft waren; und noch viel mehr waren außerhalb des Erdbebengebiets aktiv und beteten und sammelten für die Opfer. Es war wohl typisch für dieses von der gemeinsam erlebten Not gebeutelte Volk, dass ein Lied wie »Auf Leben und Tod« die Herzen weiter Kreise der Bevölkerung im Sturm eroberte.
Als ich am 14. Mai morgens aufstand und wie immer zahlreiche Nachrichten von Zuschauern auf meinem Handy vorfand, war darunter auch ein Gedicht von Wang Pingjiu, das ebendiesen Titel trug: »Auf Leben und Tod«.
Wang Pingjiu war eine der treibenden Kräfte im Nationalen Olympischen Komitee und zuständig für so gut wie alle großen Feierlichkeiten in Zusammenhang mit der Olympiade in Peking, wie der Bekanntgabe des offiziellen Mottos, des Maskottchens, des Starts des olympischen Fackellaufs, an denen ich jeweils als Moderator beteiligt war. Wir pflegten daher schon lange einen intensiven Kontakt. Wang Pingjiu, ein unermüdlicher Arbeiter und eine Kämpfernatur, hatte am Abend zuvor meine Sendung gesehen und auf die Schnelle dieses Gedicht fabriziert, »Auf Leben und Tod«, mit dem er seine Empfindungen in Worte fasste.
Mir liefen Tränen über die Wangen, als ich es meiner Frau vorlas, und meine eigene Rührung überzeugte mich davon, dass das wirklich ein gutes Gedicht war. Am Abend hing es bereits auf einen Notizzettel ausgedruckt in unserem Studio. Als ich danach griff, um es in der Sendung vorzulesen, fürchtete ich einen Moment lang, die Beherrschung zu verlieren. Es gehört zu den ersten Dingen, die man als Moderator lernt, dass Gefühlsregungen in den Nachrichten fehl am Platz sind, aber manchmal fällt es wahrhaftig nicht leicht, diesen Grundsatz zu beherzigen. Mir blieb nichts anderes übrig, als dem Verlesen dieses Gedichts den Satz voranzuschicken: »Ich hoffe, dass ich es zu Ende lesen kann, ohne zu weinen.«
Ich bekam es tatsächlich hin, ohne dass mir die Tränen kamen. Den Zuschauern zu Hause aber flossen sie ungehindert … Über Nacht war das Gedicht in aller Munde. Nach der Sendung traf eine Flut von Nachrichten und Anrufen im Sender ein. Die Leute wollten die Verse vertonen, verfilmen oder einfach nur öffentlich vortragen.
Bald darauf machten sich Cheng Long und Tan Jing, alle Hindernisse im Handumdrehen aus dem Weg räumend, auf ins nächste Tonstudio, und nach nur 48 Stunden hatten sie das Lied im Kasten, und innerhalb von 48 Stunden strahlten wir es schon live bei uns
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