Sind wir nun gluecklich
zu bringen, wurde eine junge Kollegin attackiert und verleumdet, weil sie ihren Bericht vom Hotel aus und nicht direkt am Unglücksort in die Kamera sprach. Aber man muss bedenken, dass die Kommunikation vor Ort einfach nicht gesichert war, das Mobilfunknetz war andauernd unterbrochen, die Journalistin brauchte eine stabile Leitung wie eben in dem Hotel. Unsere Zuschauer denken aber nicht so weit, und die noch unerfahrene Kollegin erwähnte auch die Gründe für ihre Arbeitsweise nicht. Sie wurde nach der Sendung öffentlich so angefeindet, dass sie unter diesem Druck auf jedes weitere Auftreten vor der Kamera verzichtete und um eine andere Aufgabe im Sender bat. Man überlege sich: Sie war gerade mal Anfang zwanzig. Selbst Zhang Yu und ich, die versuchten, die uns persönlich nicht bekannte Kollegin zu verteidigen, wurden dafür beschimpft.
Das kommt häufiger vor, vor allem in solch heiklen Situationen, in denen eine falsche Bemerkung oder eine Fehleinschätzung sofort als Mangel an Einfühlungsvermögen oder als Mitleidlosigkeit ausgelegt werden kann. Als Journalist darf man seinerseits den Zuschauern nicht grollen, die als Betroffene oft extrem sensibel reagieren. Die Härte ihres Urteils mag unangemessen sein, aber wir müssen Verständnis zeigen und damit leben.
Nach der dreitägigen Staatstrauer wurde es nur noch schlimmer, die Nerven lagen blank, jeder hatte Angst, einen Fehler zu machen. Ich tröstete damals die Kollegen: »Immer mit der Ruhe, verlasst euch auf euer eigenes Gefühl. Wenn ihr ehrlich und wahrhaftig auftretet und euch nicht verstellt, dann könnt ihr nichts verkehrt machen …«
Ich versuchte, mich auch selbst daran zu halten. Wenn man keine Angst hat, Fehler zu machen, dann macht man auch keine. Aus Angst entstehen hingegen die meisten Fehler. Das ist ohnehin eine der goldenen Regeln unseres Metiers. Ein schweres Erdbeben bildet da keine Ausnahme.
In der letzten Phase unserer Reportagen blieb die Atmosphäre gespannt, obwohl gerade die am stärksten betroffenen Landsleute aus Sichuan inzwischen nach außen hin eisernen Optimismus demonstrierten.
Bei einer Trauerfeier in New York kurz nach dem 11. September 2001 sagte New Yorks damaliger Bürgermeister Rudy Giuliani: »Sobald der Erste auftaucht, der wieder Witze erzählt, wird unsere Stadt wieder auf die Beine kommen.«
Auch nach der Katastrophe von Sichuan gab es bald die Ersten, die, häufig per SMS oder Twitter, Witze verbreiteten. Einer davon, der sich auf die vielen ausländischen Helfer bezog, die damals im Einsatz waren, wurde schnell zum Klassiker: Als eine ältere Dame, nachdem sie von russischen Helfern aus den Trümmern gerettet wurde, sich blonden Haaren und blauen Augen gegenübersah, sagte sie: »Verflucht noch mal, hat mich dieses grauenhafte Erdbeben doch bis ins Ausland geschleudert!«
Ob diese Anekdote wahr ist, weiß man nicht, aber sie zeugt vom typischen Sichuaner Humor. Als ich sie hörte, nahm ich mir vor, sie in meiner Sendung anzubringen, inklusive des Sichuaner Kraftausdrucks für »Verflucht noch mal«. Zwei Tage nach der Staatstrauer wagte ich mich tatsächlich. Es war für mich eine Referenz an den Humor der Bevölkerung Sichuans, die sich in ihrer Notlage wirklich tapfer schlug und nicht unterkriegen ließ.
Meine gute Absicht wurde in dem Fall glücklicherweise richtig gedeutet, ich erntete so gut wie keine negative Kritik für diesen Beitrag. Stattdessen fand die Anekdote flugs im Internet Verbreitung. Im Nachhinein nahmen sich Kollegen in ihren Berichten zunehmend augenzwinkernd den Charakter der Leute aus der Erdbebenregion vor und befreiten sich damit etwas von dem Druck, immer nur ausschließlich von tragischen Details zu berichten.
Das Leben und die Lebensfreude feierten langsam, aber sicher eine Wiederauferstehung.
Im Katastrophengebiet
Als Journalist möchte man natürlich so schnell wie möglich vor Ort sein. Nicht, weil die Arbeit im Studio weniger belangvoll wäre, ganz im Gegenteil: Die Leitung des Studios ist ausgesprochen wichtig. Die Lage zu beurteilen, die Details zu überprüfen, bestimmte Standards einzuhalten und die Gefühle von Betroffenen wie von Zuschauern nicht zu verletzen, daran gilt es ständig zu arbeiten. Dennoch wird man in Peking, zusätzlich zu all der Hektik, noch ständig von einem unterschwelligen schlechten Gewissen umgetrieben und möchte am liebsten auch am Unglücksort sein, um das Gefühl zu haben, etwas direkt Sinnvolles zu tun und damit vielleicht die Bürde
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