Sind wir nun gluecklich
Zuschauerzahlen auch mitten in der Nacht nicht wesentlich zurückgehen würden.
Als ich vor Sonnenaufgang die Sendung beendet hatte, machte ich mein Handy an: mehrere hundert neue Nachrichten. Mitteilungen von zutiefst besorgten Zuschauern, jede anders, aber die Trauer und die Not, die darin zum Ausdruck kamen, konnte einen leicht zu Tränen rühren. Am nächsten Tag, nach den allerersten Morgennachrichten, erreichte die Zahl der Nachrichteneingänge auf meinem Handy den Gipfel. Das war in den über zehn Jahren meiner Zeit als Fernsehmensch noch nie vorgekommen. Das waren keine Kurznachrichten mehr an mich, das war der überwältigende Ausdruck der Hilflosigkeit und des Schmerzes von Bürgern, die nicht wussten, wie sie helfen sollten.
Am 14. Mai vor den Abendnachrichten hatte ich mir ernsthaft Gedanken darüber gemacht, was die Medien in diesem Moment tun könnten und tun sollten. Meine Überlegung war: Inmitten der allgemeinen Bestürzung und der Aufmunterungsversuche war es angebracht, einen sinnvollen Beitrag zur Effektivität der Rettungsbemühungen zu leisten, das Ganze in die richtige Richtung zu lenken. Es ging darum, Vernunft zu wahren und damit die Verluste in Grenzen zu halten.
In der Abendsendung hatten wir Wang Zhenyao als Ehrengast im Studio, den Leiter des Amts für Katastrophenschutz. Wir sprachen über drei wesentliche Punkte:
1. dass es sich bei diesem Rettungseinsatz um keine kurzfristige Aktion handelte und man sich auf eine langfristige Anstrengung einstellen müsse;
2. dass man sich auf keinen Fall allein auf die Regierung verlassen dürfe und Raum für den Einsatz von Fachleuten aus nationalen und internationalen Hilfsorganisationen schaffen müsse;
3. dass man sich der Verletzten, der Alten und der Waisen annehmen müsse, die nach der Katastrophe allein zurückgeblieben waren, und so früh wie möglich auch psychologische Betreuung für die Hinterbliebenen zu leisten habe.
Wang stimmte meinen Anregungen sofort zu. Als er schon im Begriff war, den Sender zu verlassen, sagte er noch zu mir: »Viele unserer Informationen haben wir der Arbeit Ihres Senders zu verdanken, daher wissen wir Ihre Beurteilung der Lage auch sehr zu schätzen. Ich danke Ihnen.«
Bei dieser nationalen Katastrophe gab es diesmal von Anfang an kein Verstecken, Vertuschen und Verschweigen. Wir informierten umfassend und waren in alle Vorgänge involviert, und das betraf nicht nur die chinesischen, sondern auch die ausländischen Medien. Ein großer Fortschritt für das in diesem Moment von der Not geplagte China!
»Auf Leben und Tod«
Anfangs waren die Straßen und die Kommunikationswege in die am schwersten betroffene Region abgeschnitten. Das Gebiet glich einer einsamen Insel, bis zu der sogar das Militär nicht vordringen konnte. Den Betroffenen in der Region blieb nichts anderes übrig, als sich selbst zu helfen. Dass das Beben schnell den Namen »Erdbeben von Wenchuan« bekam, lag allein daran, dass Wenchuan am stärksten isoliert und davon auszugehen war, dass dort eine verheerende Situation herrschte. Daher war die höchste Priorität, den Weg dorthin freizumachen. Es stellte sich heraus, dass die Städte und Landkreise in Nordsichuan tatsächlich die größten Verluste zu verzeichnen hatten. Die Bewohner der Region hatten weder die Zeit noch die Möglichkeit, die Lage richtig zu beurteilen, und verließen sich anfangs einfach ganz auf die eigenen Kräfte, um ihrer Notlage Herr zu werden.
Bei den ersten Nachrichten, die uns aus den betroffenen Gebieten erreichten, merkten wir schnell, dass man vor Ort zwar tat, wozu man fähig war, es aber an Fachwissen mangelte. Viel besser stand es jedoch auch beim Großteil der Soldaten und freiwilligen Helfer nicht, die sich eilig auf den Weg nach Nordsichuan gemacht hatten. Wenn es an fachlichem und technischem Wissen zur Rettung von Katastrophenopfern mangelt, kann man die Betroffenen manchmal allerdings in noch größere Gefahr bringen. Deshalb konzentrierte ich mich in den ersten Tagen unserer Berichte verstärkt darauf, an Fachleute zu appellieren, an Mediziner und Sanitäter, sich mit ihrem Wissen in für Laien möglichst verständlicher Form in die Rettungsaktionen einzubringen, und zwar je schneller, desto besser.
Zehn Minuten nach meinem ersten Aufruf dieser Art nutzte ich eine kurze Pause zum Einlegen einer Filmrolle, um auf mein Handy zu schauen. Und siehe da, ich hatte bereits eine Nachricht von einem landesweit bekannten Neurochirurgen namens Ling Feng
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