Sind wir nun gluecklich
war, tauchte der Direktor der Sparte Literatur und Kunst vor mir auf. Er sah zwar, was mir los war, aber er kannte keine Gnade und sagte nur: »Man hat den Vater der kleinen Bai Lin gefunden. Wir nehmen das spontan in die Sendung auf, und du musst deinen Auftritt vorbereiten …« Sprach’s, machte kehrt und ging.
Immerhin versiegten mit diesen Sätzen meine Tränen, und ich bin ihm letztlich unendlich dankbar dafür. Ich fürchte, diese knappe Anweisung war damals schlicht das Beste, um mich zur Besinnung zu bringen.
Erst kurz zuvor war die Schülerin Bai Lin auf der Bühne interviewt worden und hatte berichtet, wie sie von ihrem Vater getrennt wurde und man immer noch nicht wisse, ob er am Leben sei. Unterdessen hatte der Vater zusammen mit Polizisten in der provisorischen Notunterkunft einer Polizeistation am Unglücksort vor dem Fernseher gesessen.
Das war eine gute Nachricht, nicht nur für das kleine Mädchen, es bedeutete einen Lichtblick für all die Zuschauer vor den Fernsehgeräten, einen kleinen Hoffnungsschimmer. Ich fühlte mich wie von einem Joch befreit, riss mich sofort zusammen und überbrachte der kleinen Bai Lin vor laufenden Kameras die gute Nachricht. Sie brach in Tränen aus, und obwohl sie sich schnell wieder zusammenriss, wollte sie nicht aufhören zu zittern. Spontan zog ich sie mit der freien Hand (in der anderen hielt ich das Mikro) an mich und legte meinen Kopf an ihren, um zu signalisieren: Du bist nicht allein.
Völlig aufgelöst wandte sich das Mädchen nun an ihren Vater, der weit weg von ihr vor dem Bildschirm saß, und bat ihn, zu helfen, ein Freiwilliger zu werden und weitere Leben zu retten …
All das übertragen wir live und spontan. Das wahre Leben braucht keine Redaktion und kein cleveres Drehbuch, es übertrifft jedes noch so gute, fernab der Realität ausgefeilte Manuskript. Die so Hals über Kopf vorbereitete Livesendung der Wohltätigkeitsgala hatte eine enorme Wirkung, was sich schon an der stattlichen Summe von 1,5 Milliarden Yuan Renminbi an Spendengeldern zeigte, die damit eingenommen wurden. Wesentlich wichtiger war, dass noch mehr Leute Sichuan nun wie ihre eigene Heimat betrachteten, dass die ferne Provinz ihnen ein Stück näher gerückt war.
Und das Gute an der etwas überstürzten Ausstrahlung der Sendung war auch, dass wir sie später gar nicht mehr hätten machen können. Denn vom darauffolgenden Tag an wurde offiziell für drei Tage Staatstrauer ausgerufen, und zum ersten Mal in der Geschichte der Volksrepublik wurden wegen des Tods von Menschen aus dem einfachen Volk die Fahnen auf Halbmast gesetzt. In dieser Situation, als in der Stille der allgemeinen Trauer nur noch unser eigener Herzschlag zu vernehmen war, hätten wir unmöglich eine Galashow senden können.
Zwei Jahre danach veranstalteten wir eine ähnliche Spendengala, die 2 Milliarden Renminbi Nothilfe einbrachte, eine Rekordsumme, die ohne die Vorgängerveranstaltung wohl kaum möglich gewesen wäre. Als es danach auch noch zu dem großen Schiffsunglück in Gansu kam, wurde binnen kurzer Zeit bereits zum dritten Mal für das Volk Halbmast geflaggt.
Keine Schonung des Reporters, ist der Druck auch noch so groß
Als wir die täglichen Reportagen über die Folgen des Erdbebens brachten, mussten wir zum einen mit dem enormen psychischen Druck wegen des schmerzlichen Ausmaßes des Ereignisses und der unklaren Situation zurechtkommen und zum anderen auch mit der Erwartungshaltung des Publikums. Für uns war das ein unglaublicher Psychostress. Aber schlimmer als die mit jedem Tag steigenden Anforderungen an uns Fernsehleute waren die vielen Unsicherheiten und die unerwarteten Programmänderungen. Die große Aufmerksamkeit für unsere Sendungen war dem unendlichen Leid der Bevölkerung geschuldet, und wir mussten dabei permanent schlechte Nachrichten verbreiten, bei denen wir uns selbst keine Gefühlsregungen erlauben durften.
Nun, das gehört natürlich zum Job. »Wer am Ufer spazieren geht, muss sich nicht wundern, wenn er nasse Füße bekommt«, sagt man in China. Und dann kommt es eben auch zu einem völlig unvorhergesehenen Ereignis wie einem schweren Erdbeben, über das man mit einem Team von zahlreichen jungen und noch unerfahrenen Journalisten berichten muss. Ein falsches Wort oder ein Missverständnis machen einen Journalisten in einer solchen Ausnahmesituation schnell zur Zielscheibe von mitunter heftigen Angriffen. Als wir zum Beispiel gerade anfingen, Reportagen aus der Erdbebenregion
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