Sine Culpa
eingesperrt.«
»Finde ich auch, vorausgesetzt, er erstattet Anzeige, was er vielleicht nicht tut. Die Vernehmung war übrigens gut.«
»Danke. Ich war auch ganz zufrieden, und ich dachte, ich würde ihn knacken, aber dann ist er zusammengebrochen.«
»Was schlägst du jetzt vor?«
»Ihn im Krankenhaus aufsuchen und so weitermachen. Ich hoffe, er glaubt, dem Tod nur knapp entronnen zu sein … Vielleicht nehme ich sogar eine Bibel mit.« Sie lachte, wurde dann aber Ernst. »Kann ich dich was fragen, ganz unter uns?«
»Schieß los.«
»Glaubst du, wir haben eine Chance, den Mörder von Malcolm Eagleton zu finden?«
»Frag mich was Leichteres. Es ist wirklich absurd: Wir haben seine Leiche, aber keine Spur, keinen Verdächtigen. Bei Paul haben wir keine Leiche, aber dafür jede Menge Beweise. Ehrlich gesagt, ich klammere mich an die Hoffnung, dass wir Pauls Mörder finden und ihm dann auch irgendwie Malcolms Tod nachweisen können.«
»Ziemlich unwahrscheinlich.«
»Ich weiß, aber was sollen wir sonst machen? Vielleicht kann uns ja unser ›Freund‹ mehr erzählen, falls ich ihn finde. Warum fragst du?«
»Dieser letzte Brief, wo er von dem Bösen in Harlden spricht, da krieg ich Gänsehaut.«
»Ich rede mir ein, dass wir heute bei Verbrechen an Kindern viel hellhöriger sind, aber dann hört man immer wieder davon, dass Kinder jahrelang systematisch missbraucht wurden und … man könnte glatt den Glauben verlieren. Mag ja sein, dass wir unsere Methoden verbessert haben, aber dafür sind die Pädophilen auch cleverer geworden. Schau dir uns an; wenn wir nicht den Tipp vom FBI bekommen hätten, wüssten wir immer noch nicht, was hier vor sich geht.«
»Zumindest haben wir es nicht mit einem Serienkiller zu tun, der es auf Kinder abgesehen hat. Das hätten wir bemerkt!«
»Stimmt. In mancherlei Hinsicht passen die beiden Todesfälle überhaupt nicht zusammen. Vielleicht waren sie unbeabsichtigt, nicht sexuell motiviert. Vielleicht sollten so die Spuren verwischt werden.«
»Das macht es für die Eltern auch nicht leichter.«
Sie blickte nach unten auf seinen Schreibtisch und sah den Stapel mit den Vermisstenfotos. Er hatte dem Team nichts davon gesagt, dass einem dieser Fälle nachgegangen werden sollte, aber sie merkte ihm an, dass sie ihm keine Ruhe ließen. Jedes Mal, wenn sie über Paul sprachen, wanderte sein Blick zu den Bildern hinüber, als quälten sie ihn.
»Hast du von den Londoner Kollegen schon was über das Haus gehört, das Ball aufgesucht hat?«
»Die haben gestern angerufen. Sieht ganz vielversprechend aus. Der Fall ist jetzt an die Spezialisten vom Kinderschutzdezernat gegangen, und die halten die Überwachung aufrecht. Bis jetzt haben sie nur eine verdächtig hohe Anzahl von einzelnen männlichen Besuchern festgestellt, aber das reicht ihnen, um an der Sache dranzubleiben.«
Fenwick nahm das Schulfoto von Paul und dann noch eins, das oben auf dem Stapel mit den Vermisstenfotos lag. Alle diese Kinder waren inzwischen für ihn seine vermissten Jungen geworden.
»Wer ist das?«, fragte Nightingale sanft.
»Sam Bowyer, erinnerst du dich nicht an ihn? Er ist im Frühsommer von zu Hause weggelaufen.«
»Er sieht Paul ähnlich.«
»Genau das ist mir auch aufgefallen, aber es gibt keine Hinweise auf ein Verbrechen. Er hat einen Rucksack gepackt, das Portemonnaie seiner Mutter geleert und offensichtlich die Schule geschwänzt.«
»Aber?«, fragte Nightingale. Er blickte fragend auf. »Ich seh dir das Aber im Gesicht an.«
Er zog nachdenklich die Augenbrauen hoch. »Aber Jungen wie Sam landen doch irgendwo. Sie verschwinden nicht einfach. Hier ist noch einer. Ein Junge aus Brighton, der nach London abgehauen ist.« Er reichte ihr das Foto. »Jack hieß er. Hat sich im Juni umgebracht, ist in die Themse gesprungen. Sie sehen so jung aus, so unverdorben. Aber als das Foto von Paul gemacht wurde, war er schon zwei Jahre missbraucht worden.«
Fenwick betrachtete wieder das Foto von Paul und suchte in seinen Augen nach einer Spur dessen, was ihm widerfahren war, fand aber nur einen Anflug von Spott, als amüsierte Paul sich heimlich über irgendetwas. Vielleicht war das sein Mittel gewesen, um mit der bitteren Realität fertig zu werden. Wenn er tatsächlich so leichtfertig damit umgegangen war, musste ihm sein Selbstwertgefühl völlig abhanden gekommen sein.
»Woran denkst du?«
»Ich hab über Paul nachgedacht, warum sein Leben so enden musste, was aus ihm geworden wäre, wenn er
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