Sine Culpa
zog schließlich ein Schulfoto heraus. Sorgsam hängte er das Bild des vermissten Schuljungen Paul Hill genau zwischen die beiden von Malcolm und Sam. Es war, als hätte er das fehlende Bindeglied gefunden. Selbst in den grellen Technicolorfarben des alten Films und selbst im Vergleich zu den beiden hübschen anderen Jungen besaß Paul Hill die Schönheit eines Filmstars.
Er vereinigte in sich das Beste der beiden Jungen: Malcolms blassen Teint, Sams zarten Hals, und mit seinen verblüffenden Augen schien er den Betrachter dazu einzuladen, über einen Witz zu lachen, den nur sie beide kannten.
Fenwick setzte sich. Es gab einen Zusammenhang, es musste einen geben. Irgendwo da draußen hatte irgendwer eine Vorliebe für hübsche vorpubertäre Jungen mit einem bestimmten Aussehen, und wenn er sie fand, dann verschwanden sie irgendwie. Auf einmal hatte er große Angst um Sam Bowyer.
9
»Ich bring die Akten nachher selbst hin, Sir. Liegt auf meinem Nachhauseweg. Dann kann ich Superintendent Quinlan gleich persönlich auf den neusten Stand bringen.«
»Was meinen Sie, wem er die Leitung der Ermittlung übergibt?«, fragte der A.C.C. »Ich vermute, Inspector Blite, aber ich möchte auf Nummer sicher gehen. Könnten Sie ihm das vorschlagen?«
Eine winzige Pause trat ein.
»Das könnte schwierig werden. Soweit ich weiß, hat er zwei wichtige Fälle, die in den nächsten drei Wochen zur Verhandlung kommen, plus vier laufende Ermittlungen, darunter die tödliche Messerstecherei von letztem Samstag.«
»Sie sind aber gut informiert, dafür dass Sie schon seit sechs Monaten da weg sind. Nein, dieser Fall ist genau der Richtige für Blite.«
»Wie wär’s mit Inspector Nightingale, Sir«, schlug Fenwick vor.
»Noch viel zu grün hinter den Ohren.« Harper-Brown schüttelte ablehnend den Kopf. »Hier geht es immerhin um Mord, auch wenn der Fall alt ist.«
Fenwick wollte widersprechen, doch der A.C.C. griff schon nach irgendwelchen Unterlagen, ein klares Zeichen, dass die Unterredung beendet war.
Als Fenwick in den Raum der Detectives marschierte, war seine schlechte Laune unübersehbar. Drei von seinem Team saßen an ihren Schreibtischen, und drei Köpfe senkten sich plötzlich noch tiefer, als wären die Akten vor ihnen plötzlich ungemein interessant geworden.
»Wo ist Alison?«
Sergeant Alison Reynolds leitete die Soko Chorknabe. Sie war schon seit zwanzig Jahren bei der Polizei und hatte bei der Sitte und bei der normalen Kripo gearbeitet, ehe sie zum Major Crimes Squad kam. Sie lebte angeblich mit drei Katzen zusammen, ließ sich so leicht nichts vormachen und wurde, wegen ihrer Resistenz gegen männliche Avancen, hinter ihrem Rücken als Lesbe bezeichnet. Fenwick hatte guten Grund zu der Annahme, dass sie keine lesbischen Neigungen hatte. Er wusste nämlich, dass sie bis vor kurzem verheiratet gewesen war und einen zwölfjährigen Sohn hatte. Er hatte das durch Zufall erfahren, bei einem der wenigen Male, als er Bess von der Schule abholte. Alison hatte ihn gesehen und ihn Jason vorgestellt und einem Mann im Rollstuhl, der ihr Vater war. Seitdem hatten sie beide nicht mehr über die Begegnung gesprochen oder sich am Familienleben des anderen interessiert gezeigt, aber Fenwick hatte sich ein bisschen umgehört und herausgefunden, dass sie alleinerziehend war, seitdem ihr Mann sie im Vorjahr verlassen hatte.
»Hier.« Die Stimme drang hinter einem Aktenschrank hervor.
»Haben Sie einen Moment Zeit?«
Sie neigte nicht zum Smalltalk und folgte ihm daher wortlos in sein Büro. Mit Alison Reynolds hatte Fenwick einen guten Ersatz für Coopers gesunden Menschenverstand und dessen Gründlichkeit gefunden, und er war sicher, dass sie die Richtige war, um die Überwachung von Ball und White zu leiten, ganz gleich, was Harper-Brown über Frauen sagte.
»Schließen Sie die Tür und nehmen Sie Platz.«
»Wie ich höre, haben wir den Fall Eagleton an Harlden verloren.«
»Leider ja. Wir haben unser Bestes getan, aber es gibt keine offensichtliche Verbindung zu Chorknabe. Aber ich bin auf einen weiteren vermissten Jungen gestoßen, der ganz ähnlich aussieht wie Malcolm Eagleton – Paul Hill, sein Foto hängt da am Pinnbrett hinter Ihnen. Allerdings hab ich nichts gefunden, was ihn mit Malcolm oder einem unserer Verdächtigen in Verbindung bringen würde, also können wir nichts damit anfangen. Hat die Überwachung in den letzten Tagen irgendwas Interessantes ergeben?«
»Alec Ball ist gestern nach London
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