Sine Culpa
gefahren, aber wir haben ihn in der U-Bahn verloren. Er ist im allerletzten Moment in einen Zug der Victoria-Line nach Norden gesprungen, und wir sind auf dem Bahnsteig zurückgeblieben.«
»Wer hat ihn beschattet?«
Reynolds rutschte unbehaglich in ihrem Sessel hin und her. »Das war Clive, aber es ist nicht seine Schuld.«
»Hmm.« Fenwick hatte noch nicht entschieden, ob Clive Kettering was taugte, und das hier warf kein gutes Licht auf ihn, ganz gleich, was Alison sagte. »War die Fahrt wichtig?«
»Möglicherweise. Immerhin ist er das erste Mal in zwei Monaten von seinem normalen Alltagsrhythmus abgewichen.«
»Aber vielleicht hat er sich ja auch nur die neue Ausstellung in der Tate angesehen!« Ein Hauch von Fenwicks Ärger schlich sich in seine Stimme, und er sah, wie sie das Gesicht verzog. »Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Ich bin bloß verdammt frustriert.«
»Ich doch auch. Genau wie das ganze Team. Wir haben alles versucht, irgendwas Belastendes gegen Ball oder White zu finden, aber ohne Erfolg.«
»Meinen Sie, wir sollten die Überwachung einstellen? Das muss für Sie alle ziemlich demoralisierend sein.«
»Ehrlich gesagt, es ist der ödeste Job, den ich je hatte, und ich weiß, die anderen sehen das auch so«, sie bedachte ihn mit einem schrägen Grinsen, »und ich weiß, die würden mich erschlagen, wenn sie mich jetzt hören könnten, aber ich denke, wir sollten es noch eine Woche länger versuchen. Falls Ball erneut so eine ungewöhnliche Fahrt unternimmt, sind wir darauf vorbereitet, und wer weiß, könnte doch sein, dass er unvorsichtig wird.«
Fenwick starrte nach unten auf seine Hände und atmete langsam aus. Noch einmal das Wochenbudget für das ganze Team plus Überstunden durch den Schornstein gepulvert, aber vielleicht hatte sie ja Recht, und er wollte und konnte nicht so einfach aufgeben.
»Also gut. Noch eine Woche, aber dann müssen wir die Sache einstellen. Könnten Sie in der Zwischenzeit einen Raum fertig machen mit sämtlichen Fotos, die ihr von Ball und White aufgenommen habt, auf Pinnbrettern? Ich möchte sie mir noch ein letztes Mal ansehen. Vielleicht haben wir ja doch was übersehen.«
»Sir, die sind wir doch schon x-mal durchgegangen. Das sind Hunderte von Fotos!«
»Ich weiß, aber möglicherweise sehen wir den Wald vor lauter Bäumen nicht.«
»Kann sein«, seufzte sie. »Wir sind alle zu dicht dran. Ich kümmere mich übers Wochenende drum, dann ist Montagmorgen alles fertig.«
»Machen Sie denn nicht frei?« Fenwick konnte sich gerade noch die naheliegende Bemerkung verkneifen, dass ihr Sohn ja am Wochenende nicht zur Schule müsse.
»Ich kann die Überstunden gebrauchen, und ich werde zusehen, dass ich Sonntag zu Hause bin, aber danke, dass Sie gefragt haben.«
Nightingale versuchte, einen Teil des Papierkrams zu erledigen, der liegen geblieben war, während sie sich auf die Anhörung im Fall Maidment vorbereitete, aber sie war nicht wirklich bei der Sache. Weniger als eine Stunde zuvor war der Major aus der Haft entlassen worden, weil sein Anwalt dem Richter überzeugend hatte vermitteln können, dass sein Mandant niemals gegen die Kautionsbedingungen verstoßen würde. Sie hätte damit rechnen müssen, aber es fuchste sie doch. Sie überlegte gerade, früher nach Hause zu gehen, als ihr Telefon klingelte.
»Nightingale.«
»Ich bin’s, Andrew. Ich bin in Harlden und treff mich gleich mit Quinlan. Wollte dir nur Bescheid sagen.« Er war schlecht gelaunt, das merkte sie, und wahrscheinlich wollte er ein bisschen aufgeheitert werden. Pech. Da hatte er sich den falschen Tag und die falsche Person ausgesucht.
»Viel Spaß.«
»Ich hab das mit Maidment gehört.«
»Wer nicht?«
»Ich hab auch gehört, dass die Staatsanwaltschaft hochzufrieden mit deiner Arbeit war. Die haben im Grunde nicht damit gerechnet, dass er in Untersuchungshaft kommt.«
»Ach ja?« Bei seinen Worten besserte sich ihre Stimmung unwillkürlich, dann kam ihr ein Verdacht. »Das sagst du doch nicht einfach nur so?«
»Quatsch. So was ist nicht mein Stil.«
»Stimmt. Na denn, danke für deinen Anruf.«
»Hättest du Lust, was trinken zu gehen? Ich mach heute früher Schluss, also könnten wir uns in einer halben Stunde treffen.«
»Zwei Tage hintereinander, Andrew. Was ist denn in dich gefahren?«
»Keine Ahnung, aber ich muss ein bisschen entspannen, ehe ich die Kinder sehe, und dafür eignest du dich ganz gut.«
»Schon besser, damit kann ich umgehen. Okay, ruf an, wenn du
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