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Sine Culpa

Titel: Sine Culpa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Corley
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warst. Nur weil du geradeaus gehen und denken kannst, egal wie viel du intus hast, heißt das noch lange nicht, dass du auch geradeaus fährst.«
    »Du und dein fürchterliches Gedächtnis, Maidment. Vergisst du denn nie was?«
    »Kann mich nicht erinnern.«
    Das war das erste Mal an diesem Tag, dass er versuchte, einen Witz zu machen.
    Als der Major am nächsten Tag Stanley besuchte, hielten sich bei ihm Schuld- und Pflichtgefühl die Waage. Sein alter Kamerad lag wieder im Bett und hatte einen Venentropf im Arm. Stanleys Augen flackerten auf, als Maidment eintrat, schlossen sich aber fast sofort wieder. Die Remission, diese wankelmütige Besucherin, hatte sich ebenso plötzlich wieder verabschiedet, wie sie gekommen war.
    Ein Krankenpfleger brachte ihnen Tee in dicken grünen Tassen. Der Major trank seinen, während Stanleys auf dem Nachttisch kalt wurde. Als die Tasse leer war, wartete Maidment noch eine Viertelstunde, ehe er aufstand, um zu gehen. Stanley erwachte ruckartig und starrte ihn verwirrt an. Dann klärte sich sein Blick, und der Mund verzog sich zu einem herzlichen Lächeln, das nicht zu seiner Leichenblässe passen wollte.
    »Alle vollzählig, Sir.«
    Maidment hätte nicht sagen können, ob das ein Witz war oder eine vom Morphium ausgelöste Halluzination.
    »Die ganze Nacht kein Mucks von den Dreckskerlen, Captain.«
    Maidment reagierte schnell.
    »Sehr gut, Sergeant. Halten Sie weiter die Augen auf.«
    »An mir kommt keiner vorbei, Sir!«
    »Bestimmt nicht. Sie machen Ihre Sache gut.«
    Stanleys Augen schlossen sich unvermittelt wieder, und Maidment schob sich um das Fußende des Bettes Richtung Tür.
    »Sie ist nicht gekommen, wissen Sie, meine Kleine.«
    Jetzt war Stanley wieder in der Gegenwart, und seine Stimme hatte nichts Zackiges mehr an sich.
    »Nein? Ich hab es wirklich versucht, Stanley. Ehrenwort.«
    »Würden Sie noch einmal zu ihr gehen, Major? Für mich?«
    Er bemerkte etwas auf Stanleys unteren Wimpern, das verdächtig nach Tränen aussah.
    »Sie war doch mein Mädchen, meine kleine Rosenknospe.« Stanleys Stimme brach, und er hustete schwach, um diesen Bruch der Etikette zu vertuschen. »Tun Sie’s für Ihren alten Kameraden.«
    Maidment dachte an das trostlose Haus mit seiner Aura von Verfall und an die Frau mit ihren irren Augen. Vor allem an ihre Augen dachte er. Gottes Strafe konnte grausam sein.
    Er hatte erwartet, dass er Buße tun könnte, indem er für den Rest seines Lebens Gutes tat, doch jetzt wurde ihm klar, dass sehr viel mehr verlangt wurde. Er wurde gezwungen, sich dem unsäglichen Schmerz einer Mutter zu stellen, der aus einer endlosen Ungewissheit erwachsen war, für die er sich verantwortlich fühlte.
    »Ich probier’s noch mal.« Er tätschelte die trockene Hand des alten Soldaten und sah, wie die bläulichen Lippen »Danke« flüsterten.
    Es war das letzte Mal, dass er Stanley lebend sah. Am nächsten Tag, noch ehe er die Tochter erneut besuchen konnte, erreichte ihn die Nachricht, dass sein alter Freund gestorben war. Von dem Angehörigen, der ihn anrief, erfuhr er zu seiner Verblüffung, dass die Trauerfeier bereits für den kommenden Donnerstag geplant war. Anscheinend hatte ein Vetter, der in der Bestattungsbranche arbeitete, schon alles so weit vorbereitet gehabt, dass nur noch das Datum eingesetzt werden musste.
    Am Tag der Beisetzung holte er seinen dunklen Anzug aus dem Schrank, bürstete ihn ab, bügelte die Hose und band sich die Regimentskrawatte über das weiße Hemd. Er steckte sich eine schwarze Binde an den Ärmel. Seine Orden blieben in der Schublade. Bestimmt würden heute einige getragen werden, aber er hielt das bei einem solchen Anlass für ein wenig geschmacklos. Seine Gesten hatten etwas Routiniertes an sich, denn er hatte diese Vorbereitungen in den letzten Jahren immer öfter treffen müssen. Er wischte ein letztes Mal über seine Schuhe und ging aus dem Haus, den Hut in der Hand.
    In der Kapelle des Krematoriums herrschte leises Stimmengemurmel, während alte Freunde sich zu fest die Hand drückten und Worte wechselten, die ihnen schon zu vertraut waren.
    Maidment versuchte, das Verstummen der Gespräche zu ignorieren, als er weiter nach vorn ging, um sich einen Platz zu suchen. Er war gebeten worden, eine Rede zu halten. Seine Ansprachen in Erinnerung an verstorbene Kameraden waren bei ihren Trauerfeiern schon fast Tradition geworden. Ein gutes Gedächtnis bedeutete auch, dass er den Geist des jungen Mannes heraufbeschwören konnte,

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