Sine Culpa
Wohn-Esszimmer. Fenwick fiel auf, dass ihre Füße nicht mehr über dem Fliesenboden baumelten. Seit wann hatte sie so lange Beine?
»Ich dachte, du wärst schon im Bett, junge Lady.«
»Daddy!« Sie sprang vom Tisch hoch und schlang die Arme um ihn. »Igitt, du bist ja ganz nass.« Sie wich schnell zurück und setzte sich wieder hin.
»Das hab ich deinem Bruder zu verdanken. Hast du Lust auf Kakao? Ich koch welchen.«
»Mit Milchschaum?«
»Na klar.«
Er holte Tassen aus dem Schrank, löffelte Kakaopulver hinein und gab für Chris noch ein ganz kleines bisschen Zucker dazu. Dann schäumte er die Milch mit der Espressomaschine auf.
»Woran arbeitest du da?«
»An einem Aufsatz.«
Fenwick verdrehte innerlich die Augen.
»Wann musst du ihn fertig haben?«, fragte er und ihm graute schon vor der Antwort.
»Wenn die Schule wieder anfängt.«
»Das ist doch erst in fünf Wochen, da hast du ja noch jede Menge Zeit.«
»Ja, aber ich will, dass es der beste Aufsatz von der ganzen Schule wird«, sagte sie streberhaft, und prompt äffte Chris sie nach, bis Fenwick ihm sagte, er solle damit aufhören.
»Guter Vorsatz, Bess.« Er hoffte, dass er sich nicht so erleichtert anhörte, wie er sich fühlte. Er hatte schon zu oft bis in die Nacht an irgendwelchen Schulaufsätzen gesessen.
»Aber …« Sie seufzte dramatisch und lehnte sich zurück, »… ich hab gerade erst angefangen, und für eine gute Note brauche ich mindestens zehn Seiten. Hat Mrs. Parry gesagt.«
»Brauchst du Hilfe?«
Sie wandte den Kopf, lächelte ihn unter ihrem Pony hinweg an und sah genauso aus wie ihre Mutter.
»Würdest du? Ich brauch ein paar Sachen aus dem Internet, und ich muss mindestens eine handgeschriebene Seite haben, das dauert schon mal ewig, und ein Bild malen und eine Karte zeichnen …«
»Was hast du denn für ein Thema? Klingt ja gigantisch.«
Sie schlug die erste Seite auf und zeigte auf eine hübsch gezeichnete Graphik, für die sie bestimmt Stunden gebraucht hatte. Er las den Titel:
»Meine Heimatstadt Harlden: Handel, Handwerk und Historie.«
»Hast du dir das ausgedacht?«
»Ja.« Sie glühte vor Stolz. »Die Alliteration hab ich selbst erfunden«, sagte sie und versuchte vergeblich, ihre Wortwahl beiläufig klingen zu lassen.
»Gutes Wort.«
»Och, ich kenn noch viel mehr. Wollt ihr mal hören?«
»Bloß nicht!« Chris gähnte theatralisch.
»Vielleicht ein anderes Mal. Euer Kakao ist fertig.«
12
Die in der Kirche St. Magnus versammelte Gemeinde war trotz des Wetters erheblich größer als sonst. Statt leiser Gespräche und stiller Gebete machten die Leute ihrer Empörung Luft. Eines ihrer am meisten geachteten Mitglieder war des versuchten Mordes beschuldigt worden, und das nur, weil er das Leben eines ungeschickten Polizisten gerettet hatte!
Mitfühlende Blicke ruhten auf Major Maidment, der auf seinem üblichen Platz in der dritten Reihe saß. Margaret Pennysmith wachte über ihn wie ein übereifriger Pudel. Dann und wann kam jemand durch den Mittelgang und klopfte ihm auf die Schulter oder schüttelte ihm die Hand. Diese Gesten der Unterstützung zauberten ein kurzes Lächeln auf seine zusammengepressten Lippen, doch seine Augen blieben dunkel.
Im Golfclub war die Atmosphäre ähnlich gewesen, aber die Empörung noch ungezügelter. Hier hagelte es lautstark Beschimpfungen, die sich gegen die Polizei richteten, und das, obwohl der Assistant Chief Constable an einem Ecktisch saß.
Maidment bekam ein extra großes Stück Rinderbraten. Von allen Seiten wurden ihm Drinks spendiert, und er selbst durfte keine Runde ausgeben. Der Alkohol machte ihm nichts aus, aber das Essen brachte ihn in Verlegenheit, weil er kaum Appetit hatte. Die in Folie gewickelte Scheibe Rinderbraten, die ihm zugesteckt wurde, als er vom Tisch aufstand, würde nicht auf einem »leckeren Sandwich« verzehrt, sondern eher an den dankbaren Nachbarshund verfüttert werden, einen Dackel, der genauso schnell zunahm wie der Major ab.
Hinterher an der Bar floss der Whisky in Strömen, und als es fünf Uhr war, hätte er nicht mehr Auto fahren können. Lieutenant Colonel Edwards, ein alter Freund und Regimentskamerad, bot an, ihn zu Hause abzusetzen.
»Nein danke. Ich weiß noch, wie du mich 1982 nach Hause gefahren hast, nachdem wir Englands Sieg über Australien gefeiert hatten. Menschenskind, ich weiß noch, Broad war damals in absoluter Bestform. Ich weiß aber auch noch, dass wir fast im Fluss gelandet wären, weil du angesäuselt
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