Sine Culpa
zwischen ihnen aufbauen. Aus den Fäden seiner Lebensgeschichte sollte ein Vertrauensband gewoben werden. Hätte Maidment nicht in seiner Ausbildung Vernehmungstaktiken gelernt, vielleicht wäre er drauf reingefallen. So jedoch blieb er hinter seiner höflichen Fassade distanziert. Er wurde zwei Stunden lang vernommen, dann gewährte man ihm eine kurze Pause.
Danach ging die Befragung im selben Stil weiter, nur dass diesmal die Frau bei Fenwick war. Als geübter Beobachter der menschlichen Natur spürte Maidment die Spannung zwischen den beiden, als wären sie Ehepartner und hätten sich gerade gestritten. Bei dem Gedanken musste er schmunzeln.
»War das gerade eine schöne Erinnerung?«
Maidment sah Fenwick fragend an.
»Sie haben gelächelt.«
»Ach so … ich dachte nur gerade an Streitereien zwischen Eheleuten.«
»Aha«, jetzt lächelte Fenwick, »ist das mit Hilary oft vorgekommen?«
Als der Name seiner Frau fiel, spürte Maidment wieder den vertrauten Schmerz.
»Nicht öfter als bei anderen Ehepaaren … und vermutlich auch nicht weniger.«
»Sie waren fünfunddreißig Jahre verheiratet – eine lange Zeit.«
»Sechsunddreißig. Das klingt viel, aber eine glückliche Ehe lässt sich nicht in Jahren messen. Sie wird zu einer Form von gemeinsamer Existenz. Das werden Sie auch noch merken, vor allem wenn die Kinder mal aus dem Haus sind.«
»Ich bin Witwer.«
Fenwick hustete, blickte auf seine Notizen und blätterte eine Seite um, als suche er etwas, aber Maidment ließ sich nichts vormachen. Er erkannte Trauer aus eigener Erfahrung und spürte Mitgefühl für den Detective.
»Verzeihen Sie, das wusste ich nicht. Sie sind noch so jung.«
Fenwick lachte freudlos.
»Sie sollten besser als manch anderer wissen, dass der Tod keine Rücksicht aufs Alter nimmt. Selbst Kinder sterben.«
Maidment hatte das Gefühl, von einem Freund geohrfeigt zu werden. Die unausgesprochene Anklage hing zwischen ihnen im Raum. Sein Anwalt wirkte bekümmert, Nightingale schlagartig hellwach, als wäre ihr Jagdinstinkt geweckt. Nur Fenwicks Miene war unverändert, als er wieder aufblickte.
»Ich meine natürlich Ihre Zeit in der Armee. Sie haben bestimmt blutjunge Männer im Kampf fallen sehen.«
Maidment traute seiner eigenen Stimme nicht, daher nickte er bloß.
»Wie ist der Tod aus nächster Nähe? Ich habe das kaum erlebt, sehe immer nur die Leichen. Wie ist das, wenn man mit ansieht, wie die Augen glasig werden, und wenn man den letzten Atemzug hört?«
Er konnte nicht antworten. Die Frage klang bedrohlich, auch in ihrem Kontext, und er hatte Angst, sich irgendwie zu belasten.
»Darüber möchte ich nicht sprechen, Mr. Fenwick.«
»Aber Sie haben Menschen getötet, nicht wahr?«
»Im Dienst, ja, in Borneo bei der Verteidigung einer Geschützstellung und … später.«
Die Frau beugte sich vor.
»Wie haben Sie sich dabei gefühlt?«, fragte sie.
»Gefühlt?« Er kratzte sich am Kopf. »Schwer zu sagen.«
»Darauf musst du nicht antworten, Jeremy.« Sein Anwalt blickte Nightingale zornig an.
»Ist schon gut, Stenning, ich habe nichts zu verbergen.«
Er war plötzlich müde und schielte auf Fenwicks Uhr. Stenning hatte ihm seine Rechte erklärt. Sie würden bei einem Richter einen Haftbefehl beantragen oder ihn freilassen müssen. Bislang hatte die Vernehmung ihnen nichts gebracht. Und wenn es ihm gelang, sie abzulenken, durfte er vielleicht bald nach Hause.
»Ich erzähle Ihnen gern von meinen Erlebnissen in der Army. Im aktiven Dienst stand ich in den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Ihre Generation ist zu jung, um sich noch an die Auswirkungen des Zusammenbruchs des Britischen Empires zu erinnern. Wir waren fest entschlossen, unsere Kolonien nicht einfach im Stich zu lassen. Der Staatschef von Indonesien, ein Bursche namens Sukarno, wurde ein bisschen übermütig. Er wollte die ganze Region unter seine Kontrolle bringen und einen panindonesischen Staatenbund schaffen. Er hatte keine Kriegserklärung ausgesprochen, daher gab es offiziell keinen Krieg, und deshalb durften wir Sukarnos Partisanen nicht angreifen, wohingegen diese fast ganz nach Belieben den Norden Borneos überfallen konnten.«
»Die Situation war sicher sehr demoralisierend?«
Maidment hörte echtes Interesse aus Fenwicks Kommentar heraus und kam allmählich in Fahrt.
»Nicht unter General Waller, der die Führung übernommen hatte. Er hatte zuvor auf Malaya die Schule für Kriegsführung im Dschungel gegründet und geleitet, und er
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