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Sinfonie des Todes

Sinfonie des Todes

Titel: Sinfonie des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Öhri / Vanessa Tschirky
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sich wirklich und wahrhaftig durch nichts beirren.
    »Nun gut, auf geht’s denn«, gab er sich einverstanden.
    Sie schritten plaudernd den Gang entlang, machten einen Bogen nach rechts, wo das Treppenhaus lag, und stiegen eine Etage tiefer. Dort stieß der Arzt eine Flügeltür auf und offenbarte seinem Gast das sterile Reich, über das er uneingeschränkt herrschte. Der Boden war mit Kacheln ausgelegt und hin und wieder von Rinnen durchbrochen, die zu Abflussgittern führten. An allen vier Seitenwänden waren Wasserschläuche, Siphons und Spülbecken angebracht und weiter oben, in einem zweiten Stock, schloss sich an die Mauern eine ovale, aufsteigende Bühne an, die den Saal trichterartig vergrößerte. Die meisten Plätze waren bereits von jungen Studenten in Beschlag genommen worden.
    In der Mitte des Raumes stand ein mit Eisenplatten beschlagener abwaschbarer Holztisch mit Rädern an den Beinen. Das weiße Leintuch, das über einen leblosen Körper gelegt worden war und zu beiden Seiten des Tisches auf den Boden fiel, konfrontierte den Polizeibeamten unmittelbar mit dem Tod. Der Pathologe trat an ein kleines Möbel heran und griff nach einem Stift und einem Bogen Papier. Er übertrug einige flüchtige Notizen, die er aus seiner Hosentasche gezogen hatte. Unbeeindruckt von der makabren Situation pfiff er jene Barkarole aus Donizettis ›L’elisire d’amore‹, die sich unter den Wienern noch immer großer Beliebtheit erfreute: ›Holdes Kind, ich hab Dukaten‹.
    Nach zwei Minuten zog Albin Haberda eine unter der Schreibplatte versteckte Schublade hervor und entnahm ihr ein Sezierbesteck, dessen Messer er nach Größe und Wichtigkeit auf dem Möbel anordnete. »Sind Sie bereit?«, erkundigte er sich bei Warnstedt.
    Der Beamte nickte.
    »Meine Herren!«, wandte sich der Arzt an sein Publikum auf den Rängen über ihnen und klopfte dabei mit den Knöcheln auf den Tisch. Er schritt um das Möbelstück herum, griff nach dem Leintuch und entblößte ruckartig den nackten Körper auf dem Tisch. Das Ganze hatte den billigen Beigeschmack eines Zauberkünstlers, der im Varieté die betrunkenen Schaulustigen zu unterhalten versuchte.
    Wilhelm Fichtner war gewaschen worden. Er lag auf dem Rücken, die Augen geschlossen, die Haut bleich und blutleer. Warnstedt erkannte die schwarze, kreisrunde Öffnung am Brustkorb der Leiche. Sein Abscheu wich mehr und mehr einer unerklärlichen Faszination. Er trat näher und Haberda, der sich inzwischen Handschuhe angezogen hatte, flüsterte ihm zu: »Sie entschuldigen doch das Publikum; aber wir sind nun mal ein Lehrkrankenhaus …«
    Dann stellte sich der Arzt in Positur. »Wir haben es hier mit einer männlichen Leiche zu tun«, begann er. »Größe und Gewicht wurden bereits vermerkt, als der Tote gestern Mittag bei uns eingeliefert wurde. Was seinen Ernährungszustand betrifft, so handelt es sich um einen durchschnittlich ernährten Mann.« Er hielt inne und griff nach dem Unterkiefer der Leiche, den er sachte bewegte. »Die Totenstarre der Augenlider ist bereits wieder vorüber, wie man erkennen kann; die der Kaumuskeln scheint hingegen noch nicht ganz abgeklungen zu sein. Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Exitus innerhalb der letzten 48 Stunden eingetreten ist. Dies lässt sich außerdem durch Experimente belegen, die beim Eintreffen der Leiche in unserem Institut unverzüglich durchgeführt worden sind: Das Brechen der noch nicht vollständig ausgebildeten Muskelstarre durch unsere Fremdbewegungen bedingte ein erneutes Einsetzen der Starre bei den noch nicht betroffenen Körperfasern. Dies, meine hochgeschätzten Herren, geschieht jedoch nur innerhalb der ersten 14 bis 18 Stunden post mortem.«
    Cyprian von Warnstedt hüstelte leicht, um sich bemerkbar zu machen.
    »Ja?« Haberda sah ihn an.
    »Habe ich das richtig mitbekommen, dass sich die Todeszeit mit den Angaben deckt, welche wir von der Gattin des Verschiedenen erhalten haben?«
    »Ich kenne die Aussage dieser Frau nicht, Herr von Warnstedt«, entgegnete der Pathologe. »Doch kann ich versichern, dass dieser Mann hier vorgestern irgendwann zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens das Zeitliche segnete.«
    Der Beamte nickte zufrieden. »Und die Todesart?«, fragte er nach.
    »Geduld, Geduld«, mahnte der Arzt. »Das werden wir ja jetzt herausfinden müssen.«
    Er wandte sich erneut an die Studenten und deutete auf das arme Geschöpf auf dem Seziertisch. »Die Untersuchung von Bekleidung und

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