Sinfonie des Todes
Gustav die Straße entlang, an der Kaisermühle vorbei, aus der ihm Antonia zuwinkte, bis zu einer Seitengasse auf der linken Seite, in die er schließlich einbog. Er hatte Glück, denn er musste nicht erst nach Maria fragen und womöglich noch warten. Sie lehnte an der Hauswand und untersuchte gelangweilt ihre langen Fingernägel, unter denen sich Schmutz angesammelt hatte. Ihren Rock hatte sie lasziv nach oben geschoben, sodass fast ihr ganzes Bein zu sehen war, die obersten Knöpfe ihrer Bluse standen offen. Gustav stürzte auf sie zu, packte sie an den Armen und drückte ihr einen heftigen Kuss auf den Mund. Maria wehrte sich lachend und meinte: »Gustav, nicht so stürmisch. Du kommst schon noch ans Ziel, keine Angst. Komm mit, wir gehen rein.«
Die Dirne zog den kleinen Mann in das Haus, in dem sie wohnte und ihre Kunden empfing. Warmer Dampf aus der Wäscherei, die in einem der Nebenzimmer untergebracht war, schlug ihm entgegen und trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Eine kräftige Frau mit hochgekrempelten Ärmeln und nassen Händen trat zu ihnen und grinste, als sie Gustav erkannte. Dieser beachtete sie nicht, sondern folgte Maria, die die Treppe nach oben stieg. Er zitterte vor Begierde, doch gleichzeitig fühlte sich sein Bauch ein wenig flau an, da er befürchtete, seine Mutter könnte böse auf ihn sein, weil er sie allein gelassen hatte. Sie konnte es überhaupt nicht ausstehen, wenn er sie verließ, ohne sich zu verabschieden. Wissel versuchte, die Gedanken an sie zu verdrängen, und konzentrierte sich auf die langen und so verheißungsvollen Beine Marias.
Endlich erreichten sie das Zimmer, das die Dirne mit einer Kollegin teilte und in dessen Mitte ein breites Bett thronte, auf dem mehrere bunte Kissen und eine dicke Decke mit rot-weißem Würfelmuster lagen. Durch Stofffetzen abgedunkelte Lampen tauchten den Raum in ein geheimnisvoll blasses Licht und ließen ihn die Umgebung mehr erahnen als erkennen.
Maria blieb neben dem Fenster, das mit Papier verklebt worden war, stehen und lächelte Gustav an. »Na?« Er näherte sich ihr langsam und griff an den Bändel ihres Rockes, zog daran und sah zu, wie das Kleidungsstück langsam zu Boden glitt. Dann nestelte er an den Knöpfen der Bluse herum, bis er die Geduld verlor und sie schließlich zerriss. Maria schrie kurz entsetzt auf. »So wird es aber teurer, mein Lieber«, gab sie ihm bestimmt zu verstehen. Wissel zuckte gleichgültig mit den Schultern.
Sie ließ ihr Unterkleid fallen, als sie sich auf das Laken legte, schob ein Kissen unter ihren Kopf und wartete. Als sie nackt vor ihm lag, betrachtete Wissel einen Moment lang ihren Körper. Er liebte ihn, aber er wusste, dass er denjenigen von Lina viel mehr begehrte, und wenn er ihn nicht möglichst schnell besitzen konnte, würde das schreckliche Folgen haben, für sie oder für ihn – das ahnte, das fühlte er. Er öffnete seine Hose und legte sich schwer atmend auf die Dirne.
Erst jetzt fühlte er sich wieder einigermaßen frei.
Gustav spürte die Wirkung der fünf Gläser Guldenwein, die er in der letzten Stunde getrunken hatte, und lachte laut auf, als Antonia durch seine Haare fuhr. Neben ihm saß Maria und flüsterte ihm ins Ohr, dass sie gern tanzen würde. Die Kaisermühle war am frühen Abend völlig überfüllt. Viele Arbeiter kamen direkt nach ihrem Tagewerk hierher, um sich erstmal zu entspannen, bevor sie sich nach Hause zu ihrer Frau, den Kindern, den ständig mehr Miete fordernden Hausbesitzern und den sonstigen üblichen Problemen und Sorgen begaben.
Die rote Farbe auf Marias Lippen war leicht verwischt, was sie noch attraktiver machte, die rötlich mahagonifarbenen Haare fielen ihr samtig über den Rücken und ihre dunkelblauen Augen strahlten. Das zerrissene Oberteil hatte sie mit ein paar Klammern behelfsmäßig zusammengeheftet. Jeder, der sie ansah, wartete darauf, dass sich diese lösten, doch bis jetzt hielten sie, verführten, aber befriedigten nicht.
Die Dirne stieg auf den Tisch, an dem sie mit Antonia und Gustav gesessen hatte, und begann zu tanzen. Die meisten Gäste drehten sich zu ihr um und sahen ihr zu. Wissel fing an zu klatschen und Antonia, die sich ausnahmsweise die Haare hochgesteckt hatte, gluckste vor Vergnügen. Marias Bewegungen waren sanft und kräftig zugleich. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich völlig auf ihren sich wiegenden Körper. Einige Männer pfiffen anerkennend, die meisten stimmten in Gustavs Klatschen ein und feuerten das
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