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Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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macht in diesem Punkt sogar eine noch
schärfere Unterscheidung als meine eigene. Offenbar versuchen
Sie, dem Angeklagten eher wegen seiner Meinungen und Anschauungen den
Prozess zu machen als wegen tatsächlich ausgeführter
Handlungen. Haben Sie irgendwelche Beweise dafür, dass er
wirklich Informationen an eine dritte Partei weitergegeben hat? Falls
nicht, ist die Anklage gegenstandslos.«
    »Genau das habe ich.« Sauer grinste brutal.
»Sie sollten doch wissen, wem er Informationen hat zukommen
lassen.« Er deutete zu Rachel hinüber. »Bekanntlich
sind Sie selbst Agentin einer ausländischen Macht. Der
Angeklagte hat offen mit Ihnen verkehrt. Da Sie sich bereit
erklärt haben, ihn zu verteidigen, sind Sie jetzt als Offizier
den Modalitäten dieses Gerichts unterworfen. Ich beziehe mich
dabei auf Artikel sechsundvierzig: Jede Person, die im
Offiziersdienst zum Kriegsgericht abgeordnet wird, muss sich der
Disziplin der Kriegsstatuten unterwerfen. Ich schließe
daraus, dass Sie sich mutig damit einverstanden erklärt haben,
Ihre diplomatische Immunität aufzugeben. Und zwar deshalb, weil
Sie Ihren Spion vor der Schlinge des Henkers zu retten
versuchen.«
    Einen Augenblick lang wirkte Rachel verwirrt. Erneut sah sie zu
Martin hinüber und blinzelte dabei. Gleich darauf wandte sie
sich wieder der Richterbank zu. »Also führen Sie dieses
ganze Schmierentheater nur deshalb auf, weil es Ihnen darum geht,
meine diplomatische Immunität aufzuheben? Ich bin beeindruckt.
Ich habe wirklich nicht angenommen, dass Sie dermaßen dumm sind
– Utah!«
    Alles geschah sehr schnell: Rachel fiel hinter ihrem
behelfsmäßigen Pult auf die Knie, während Sauer den
Rekruten hinten im Raum ein Zeichen gab, die Frau festzunehmen. Aber
ehe er mehr tun konnte, als den Mund aufzuklappen, erschütterten
vier heftige Explosionen die Offiziersmesse. Der Schacht der
Klimaanlage riss auf; irgendwelche Objekte fielen hinunter, komplexe
mehrarmige Objekte, die unter Hochdruck hellblauen Schaum
versprühten. Der Schaum blieb an allem, was mit ihm in
Berührung kam, kleben, angefangen mit der Richterbank und den
Wachen hinten im provisorischen Gerichtssaal. Er wog zwar wenig, war
aber zähflüssig und überzog alles blitzschnell mit
einer massiven Schicht.
    »Greift sie euch!«, brüllte Sauer und langte nach
seiner Pistole, aber mitten in der Bewegung umschloss ein riesiger
Brocken blauen Schaums seinen Arm und zementierte ihn an seiner Seite
ein. Von dem Schaum ging ein starker Geruch nach Chemikalien aus, der
an die Besuche beim Zahnarzt während der Kindheit erinnerte.
Sauer atmete tief und bemühte sich nach Kräften, die
klebrige Masse wieder loszuwerden. Dabei stach ihm der penetrante,
zähe Geruch so in die Lungen, dass die Welt ringsum im Nebel
versank.
     
    Von dem Augenblick an, als Rachel den Raum betreten hatte, war ihr
klar gewesen, dass die Dinge aus dem Ruder laufen würden. Schon
früher, auf der Erde und bei einem Dutzend späterer
Einsätze, hatte sie Richter erlebt, die aufs Hängen aus
waren. Man konnte es fast wie den Leichengeruch selbst riechen –
ein heftiges, blindes Bestreben, eine Exekution anzuordnen. Von
denjenigen, die hier den Vorsitz hatten, ging ein solcher Geruch aus,
aber auch noch etwas anderes. Verschlagene Zurückhaltung, eine
selbstgefällige Erwartungshaltung, als wäre dies alles ein
großartiger Witz. Doch über dessen Pointe konnte sie nur
spekulieren.
    Als der Sicherheitsoffizier mit der Pointe herausgerückt war
– ihrer Ansicht nach war es eine dürftige, unangemessene
Pointe, etwas, das er sich spontan zurechtgebastelt hatte, weil sich
gerade eine Gelegenheit bot –, hatte sie sich umgedreht und
Martin angesehen. Bitte halte dich bereit. Nachdem sie dreimal
geblinzelt hatte, hatte sie registriert, dass er sich anspannte und
gleich darauf nickte – er hatte das verabredete Zeichen
verstanden. Sie hatte sich wieder dem Hohen Gericht zugewandt und
dabei erneut gezwinkert, denn hinter ihren Augenlidern tanzten
grüne Lichter auf und ab. »Zweite Stufe«, sagte sie
tonlos und das Funkmikro in ihrer Kehle vermittelte den Befehl an die
Drohnen weiter, die im Entlüftungsschacht warteten. Die Blicke
der drei Offiziere, die auf der Richterbank thronten, wirkten so
finster und bedrohlich wie aufziehende Gewitterwolken.
    »Es ist eine Frage des Gesetzes, Sir«, sagte sie.
»Zufällig wird das Denken im Allgemeinen nicht als dasselbe
betrachtet wie die Tat…« Während sie fortfuhr, fragte
sie sich, wie die

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