Singularität
stehen.
»Wenn ich nur körperlichen Kontakt brauchte… Hier
im Hafen gibt’s jede Menge Matrosen«, sagte sie und lehnte
sich wieder gegen ihn. »Aber das ist nicht das, was mich
juckt.«
»Bist du sicher, dass das hier die richtige Arbeit für
dich ist? Wo du doch so…«
»… verletzlich bist? Wolltest du das sagen?«
»Vielleicht, aber das trifft es nicht ganz.«
Sie führte ihn zum Sofa. »Mir ging es um Gesellschaft,
nicht um einen schnellen Fick«, erklärte sie in dem
Versuch, sich vor sich selbst zu rechtfertigen.
»Mir geht es ja nicht anders.« Während er sie
weiter umarmte, drehte er sie sanft herum, sodass sie ihm in die
Augen sehen konnte. »Also, was soll das hier deiner Meinung nach
werden?«
»Hör auf zu reden.« Sie beugte sich vor, schloss
die Augen und suchte seinen Mund. Und dann gerieten die Dinge
außer Kontrolle.
Bei diesem ersten Mal trieb sie ein verzweifeltes Verlangen, als
sie miteinander schliefen. Rachel lag mit hochgeschobenen Röcken
auf dem Wohnzimmerboden, und Martin schlackerten die Hosen um die
Knöchel. Danach gelangten sie irgendwie ins Schlafzimmer und
kämpften sich aus den Klamotten, ehe sie erneut miteinander
schliefen, diesmal ohne jede Hast und sanft. Martin war dabei
rücksichtsvoll und ging auf ihre Wünsche ein. Als sie
später miteinander redeten, erwähnte er, dass er vor
einigen Jahren geschieden worden war. Stundenlang unterhielten sie
sich miteinander, fast bis zur künstlichen Morgendämmerung,
die zeitlich auf den Sonnenaufgang über dem Planeten abgestimmt
war, der unter ihnen lag. Und sie liebten sich, bis sie wund waren
und beiden alles wehtat.
Jetzt, nachdem er gegangen war und sie allein im Bett lag, drehte
sich alles in ihrem Kopf. Sie versuchte sich das Ganze rational zu
erklären. Isolation und überreizte Nerven konnten jeden
Menschen dazu bringen, irgendwann auszurasten. Dennoch war sie
beunruhigt: Martin war kein Mann, den sie beiläufig aufgegabelt
hatte, und es war auch kein beiläufiger Fick gewesen. Schon der
Gedanke an ein Wiedersehen mit ihm versetzte sie in einen
nervösen Erregungszustand voller Vorfreude. Allerdings wurde
dieses Kribbeln im Bauch durch bitteren Selbstekel gedämpft,
wenn sie daran dachte, wie dumm es von ihr war, Arbeit und
Vergnügen auf diese Weise miteinander zu vermischen.
Sie wälzte sich herum und blinzelte: Die Uhr im Inneren ihres
linken Augenlids besagte, dass es gerade sieben Uhr morgens vorbei
war. Noch zwei Stunden, dann musste sie sich um die Bestätigung
ihres Diplomatenstatus kümmern, sich ankleiden, hinausgehen und
irgendeinem Vertreter der Neuen Republik in den Hintern treten. Zwei
Stunden später würde Martin an Bord der Lord Vanek sein. Um 22.00 Uhr würde alles ausgestanden sein. Rachel
seufzte und versuchte, sich noch eine Mütze Schlaf zu holen,
wenigstens für eine Stunde, aber es wollte einfach nicht
klappen.
Sie ertappte sich dabei, dass sie ihre Gedanken ziellos
umherschweifen ließ und nach angenehmen Erinnerungen suchte.
Viel mehr konnte sie angesichts der realen Situation auch gar nicht
tun: Vieles sprach dafür, dass sie sterben würde, falls sie
die Absichten der Neuen Republik falsch gedeutet hatte. Wirklich ein
großartiges Ende für ein Leben von hundertundfünfzig
Jahren, nicht wahr?
Körperlich so jung wie eine Mittzwanzigerin, aufgrund
modernster medizinischer Behandlungen auf dem Mutterplaneten schon
ewig in diesem Zustand konserviert, spürte sie das Gewicht der
Jahrzehnte kaum. Angst beschlich sie nur, wenn sie daran dachte, wie
wenige der Menschen, die sie gekannt oder geliebt hatte, noch am
Leben waren. In diesem Augenblick fiel Rachel ihre Tochter ein, wie
sie als Kind gewesen war; damals hatte sie diesen besonderen Duft an
sich gehabt. Was hatte ihr ausgerechnet diese Erinnerung ins
Gedächtnis gerufen – und nicht die an spätere Zeiten,
in denen ihre Tochter zur Matriarchin und zum Kopf einer politischen
Dynastie aufgestiegen war… Und sie hatte zunächst auch
nicht an die Beerdigung der Achtzigjährigen nach dem Unfall mit
dem Segelgleiter gedacht. Fünfzehn Jahre lang war sie mit Johann
verheiratet gewesen, aber sie konnte sich nicht einmal mehr an sein
Gesicht erinnern. Sobald sie versuchte, es sich vor Augen zu rufen,
schien sich Martins Gesicht darüberzulegen, obwohl sie ihn doch
gerade erst kennen gelernt hatte. Sie blinzelte wütend und
setzte sich auf.
Dummes Ding, sagte sie sich voller Selbstironie. So wie du dich
Hals über Kopf in einen knackigen
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