Sinnliche Eroberung
mit Wolle umwickelt und die Tür mit Öl eingerieben, den Symbolen für Wohlstand und Überfluß. Marcus wird dich über die Schwelle tragen, damit du nicht stolperst, was ein schlechtes Vorzeichen wäre; dann wird er dir eine Tasse Wasser und ein brennendes Holzscheit überreichen, um dir zu zeigen, daß du nun den Schutz der Hausgötter besitzt.«
Sie lächelte ihn an. »Marcus ist aller Schutz, den ich je brauchen werde.«
Der General riß die Augen auf, als er die Veränderungen sah, die in der Arena des Circus Flavius vorgenommen worden waren, und zwar genauso, wie Nero es beschrieben hatte. Es gab mächtige Hügel mit Höhlen und einem Wald. Obwohl noch keine Tiere zur Jagd freigelassen worden waren, konnte man ihr Knurren und Brüllen in der ganzen Arena vernehmen.
Julius saß, ebenso wie Marcus, zwischen zwei einflußreichen Senatoren. Die Loge des Kaisers war von Prätorianergarden umstellt, aber auf Nero und seinen Zirkel wartete man noch. Da die venatio zu Ehren des Kaisers veranstaltet wurde, konnte die Jagd erst mit seiner Anwesenheit beginnen.
Als die Menge langsam unruhig wurde, tauchte eine Musiktruppe mit Tanzäffchen auf, die an langen Ketten geführt wurden. Sie waren darauf abgerichtet, verschiedene Kunststücke vorzuführen, die die Menge eine Zeitlang bei Laune hielt. Doch als die Leute allmählich das Interesse verloren und nach Taten brüllten, wurden die bestiarii, die Gladiatoren, die die Raubtiere jagten, in die Arena geführt. Die Zuschauer suchten sich ihre Favoriten aus und schlössen Wetten ab. Die Waffen der Kämpfer unterschieden sich völlig. Einige trugen Speere, andere Pfeil und Bogen; wieder andere bevorzugten das Schwert oder Netz und Dreizack.
Schließlich traf Nero ein, und als er in der Loge vortrat und seinen Arm hob, raste die Menge. Petrius setzte sich hinter Marcus und beugte sich vor, um seinem Bruder etwas ins Ohr zu flüstern.
»Das fette Schwein denkt, sie verehren ihn, wo sie doch in Wirklichkeit nur darauf brennen, daß das Blutvergießen endlich beginnt.«
Als Marcus sich zu seinem Bruder umdrehte, sah er, daß Petrius' Pupillen unnatürlich geweitet waren, und wusste , daß er Rauschmittel genommen hatte. Er fragte sich, ob er Schmerzen hatte.
»Wie geht es deinem Arm?« fragte Marcus.
Petrius machte eine Faust. »Ich fühle gar nichts. Schau mich nicht so besorgt an.« Er öffnete seine Finger. »Mir geht es blendend.«
Und genau das war es, was Marcus langsam Sorgen bereitete. Petrius war instabil. Vielleicht sollte er mit Julius über ihn sprechen. Dieser Hurensohn von Bruder gehörte eingesperrt, bevor er noch größeren Schaden anrichtete. Marcus be schloss , ihn nach den Spielen beiseite zu nehmen und ein Wörtchen mit ihm zu wechseln.
Da ging ein lauter Aufschrei durch die Menge, denn die Tiere wurden freigelassen. Chaos brach aus, als die Löwen, Leoparden und Bären übereinander herfielen. Löwen kämpften gegeneinander, riesige Bären schlugen ihre Krallen in Leoparden und schleuderten sie durch die Arena. Ein paar schlaue Löwinnen griffen die Bären im Rudel an und richteten schreckliche Verheerungen an. Die Gladiatoren hatten ein leichtes Spiel mit den Tieren, deren sämtliche Instinkte darauf konzentriert waren, die Angriffe ihrer tierischen Artgenossen abzuwehren.
Marcus wurde übel. Er hatte eine erregende Jagd erwartet, Mann gegen Tier, in der das Überleben vom Mut, der Schnelligkeit, Stärke und Intelligenz des einzelnen abhing.
Julius und die Senatoren schienen das entsetzliche Schauspiel ebenso abstoßend zu finden wie er. Marcus konnte nicht anders, als seiner Mißbilligung Ausdruck zu verleihen.
»Ich glaube, wir haben genug gesehen«, sagte Julius, während sie sich aufreihten, um nach vorne zu gehen und sich vom Kaiser zu verabschieden.
Der schien nicht erfreut über ihren vorzeitigen Aufbruch.
»Ihr geht doch nicht schon? Am Mittag gibt es Exekutionen. Ich habe mir ein paar spektakuläre Foltern für die Feinde Roms einfallenlassen.«
Einer der Senatoren, der aus einer alten Patrizierfamilie stammte, meldete sich zu Wort. »Der Senat tagt heute nachmittag, Euer Majestät. Wir sind auf dem Weg zur Kurie.«
Nero wusste genau, daß es nicht ratsam war, zu widersprechen, wenn ein ehrenwerter Senator das Wort ergriff. Er war zwar der Kaiser, aber der Senat genoß solches Prestige und moralisches Ansehen, daß Nero sich - nach außen hin - fügte. Sie konnten ihn durchaus absetzen, wenn sie wollten. Obwohl Kaiser und Armee
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