Sinnliche Traeume auf Kyrene
erkennen.
Sie stand nahe dem Steilufer und blickte zu einem Johannisbrotbaum empor, der sich gegen den rotgoldenen Abendhimmel abzeichnete. Als er auch noch eine Staffelei erkannte, wusste er, dass es nur Diana sein konnte.
Zweifellos hatte die Aussicht sie dorthin gelockt. Zu dieser Zeit am Abend musste der Blick wirklich eindrucksvoll sein.
Die Klippe war zwar im Osten, aber manchmal formten sich dort Wolkengebirge von unglaublicher Farbenpracht.
Ohne lange nachzudenken, folgte Thorne Diana hinaus auf die Klippe. Der Anblick, der sich ihm bot, war tatsächlich wunderbar. Die Glut des Sonnenuntergangs spiegelte sich im Meer und setzte dessen Oberfläche in Brand, während die am Himmel schwebenden Wolken einen prachtvollen Baldachin abgaben.
Als er Diana erreichte, sah er, wie sie mit der Palette in der einen und einem Pinsel in der anderen Hand mit klaren, sicheren Strichen die Landschaft auf die Leinwand bannte.
Sie schien so in ihre Arbeit versunken zu sein, dass sie seine Anwesenheit wahrscheinlich gar nicht bemerkte.
Als sie endlich sprach, lag so etwas wie Ehrfurcht in ihren leise gemurmelten Worten. „Die ganze Woche lang habe ich den Sonnenuntergang von meinem Schlafzimmerfenster aus betrachtet. Jetzt konnte ich nicht widerstehen. An meinem letzten Abend musste ich hierher kommen.“
Ich konnte auch nicht widerstehen, hierher zu kommen, dachte Thorne, auch wenn es nicht wegen des Sonnenuntergangs war.
Schweigend sah er Diana bei der Arbeit zu. Dann und wann beugte sie sich zu dem Holzkasten hinunter, der gefüllt mit Pinseln, Farben und Gefäßen voll Terpentin zu ihren Füßen stand, und wählte einen anderen Pinsel. Doch ansonsten hielt sie den Blick auf die Leinwand gerichtet oder den Ausblick, der sich ihr bot.
Was sie tat, erschien Thorne wie Zauberei. Vor seinen Augen nahm das Bild Gestalt an.
Im Vordergrund sah er die Umrisse dessen, was einmal der Johannisbrotbaum sein würde. Am Fuß des Steilufers war der weiße Felsen, der die Bucht abschirmte. Und jenseits erstreckte sich das Meer bis zum fernen Horizont, um dort in ein wildes, rot flammendes Wolkengebirge überzugehen.
Trotzdem war es nicht das entstehende Bild, das Thorne so faszinierte. Es war die Malerin selbst.
Versunken in ihre Arbeit biss sich Diana leicht auf die Unterlippe. Ihre Konzentriertheit ließ die leidenschaftliche Hingabe an ihre Arbeit erkennen. Und die liebevolle Sorgfalt, mit der sie den Pinsel führte, hatte schon fast etwas ... Sinnliches.
Die untergehende Sonne tauchte ihr Haar in ein dunkles Feuer, während das Rot des Himmels ihre schönen Züge wie verzaubert erstrahlen ließ.
Ihr Bild weckte in Thorne ein wildes Sehnen, ihre Leidenschaft zu teilen. Mit einem Mal wusste er, dass sie sich mit der gleichen Intensität der Liebe hingeben würde.
Er hätte nicht sagen können, wie lange er so dagestanden hatte, aber schließlich merkte er, dass die Sonne untergegangen war. Dämmerung breitete sich aus.
Kurz darauf wurde der Himmel dunkel, und nur am Horizont waren noch einige schwach rosa Streifen zu sehen.
„Ich wünschte, das Licht hätte länger gehalten“, murmelte Diana. Man konnte ihrer Stimme die Enttäuschung anhören. „Wenigstens habe ich mir genug einprägen können, um das Bild zu vollenden.“
Thome versuchte, die Benommenheit abzuschütteln. Sie sprach von Kunst, und er konnte nur an Liebe denken. Zum Teufel, er musste seine Gedanken unter Kontrolle bekommen.
„Es ist so schwer, einen Sonnenuntergang auf die Leinwand zu bannen“, fügte sie etwas bekümmert hinzu.
Sie legte die Palette ab und verstaute den Pinsel. Doch sie konnte sich nicht entschließen, zur Villa zurückzukehren. Stattdessen ließ sie den Blick übers Meer schweifen. Aus der Bucht unter ihr hörte sie das leise Wispern der Wellen, spürte, wie die leichte Abendbrise ihr übers Gesicht strich.
In diesem Augenblick wollte sie die Insel nicht mehr verlassen. Es war die allerletzte Nacht, die sie hier verbringen würde, und sie sollte niemals enden.
Wie benommen trat sie einige Schritte näher an den Rand des Steilufers. Noch nie hatte sie sich so frei gefühlt. Über dem Abend lag ein Zauber, der ihre Seele mit einer seltsamen Mischung aus Frieden und Aufruhr erfüllte.
Woher der Aufruhr kam, wusste sie allerdings sehr gut. Auch wenn sie in ihre Arbeit vertieft gewesen war, hatte sie doch keinen Augenblick den Mann vergessen, der ihr hierher gefolgt war.
Gerade jetzt spürte sie diese Anwesenheit wieder besonders
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