Sinnliche Traeume auf Kyrene
einen Schritt von der Leinwand zurück.
„Wir sollten eine kleine Pause machen. Ich denke, Sie werden sich sicher einmal strecken wollen. Und ich werde noch eine Tasse heiße Schokolade bringen lassen. Es wird nicht mehr lange dauern, vielleicht noch eine Stunde. Und es würde mich freuen, wenn Sie zu einem kleinen Lunch blieben.“
„Danke, aber das geht leider nicht. Ich muss auf meine Figur achten. Die Herren lieben zwar Rundungen, aber zu viele davon sind nicht gut fürs Geschäft“, fügte Venus spöttisch hinzu.
Sie ließen sich wieder vor dem Kamin nieder, und als die Schokolade serviert war, sprach Diana über ihren künstlerischen Werdegang. Hier und da ließ sie Bemerkungen über ihre Kindheit einfließen und wie schwer sie der Verlust der Eltern in jungen Jahren getroffen hatte. Thorne hatte schließlich gesagt, sie solle Venus dazu bringen, etwas über ihre Kindheit zu erzählen.
An Dianas Karriere zeigte Madame nur höfliches Interesse, doch als Diana den Kummer über den Tod ihrer Eltern erwähnte, war der schmerzliche Ausdruck in Venus’ Gesicht nicht zu übersehen.
Als sie sich wieder der Arbeit widmeten, begann Diana, die
Glanzlichter auf Gesicht und Gewand zu setzen und Arme und Hände etwas voller zu malen. Später, wenn Venus gegangen war, würde sie die heutige Sitzung damit beenden, dass sie noch die dunklen Schattierungen des Kleides einarbeiten, einen vorläufigen Hintergrund hinzufügen und schließlich noch die Gesichtszüge etwas ausarbeiten würde. Dann wäre alles für den nächsten Schritt bereit.
Venus’ Frage traf Diana völlig unvorbereitet. „Haben Sie schon einmal Kyrene besucht?“
Einen Moment lang überlegte Diana, was sie antworten sollte. Über dieses Thema hatte sie mit Thorne nicht gesprochen. Sie entschied sich, bei der Wahrheit zu bleiben.
„Erst kürzlich habe ich Thorne dort besucht. Eigentlich nur, um Amy von ihrem Verehrer fortzulocken.“
„Ich habe gehört, dass die Insel wunderschön sei“, meinte Venus sinnend.
„Das ist sie. Nichts, was ich bisher gesehen habe, gleicht ihr.“
Sie berichtete Venus über ihre Eindrücke, die über sonnenüberflutete Schönheit dieses Ortes und seine Aura.
Allem Anschein nach wusste Venus bereits von der Legende und dass die Insel angeblich die Sinne normaler Sterblicher verwirrte, doch sie schien mehr an der Gegenwart als an der Vergangenheit interessiert zu sein.
„Was wissen Sie über Sir Gawain? Haben Sie ihn getroffen?“
„Nur kurz“, erwiderte Diana. „Er scheint ein charmanter, sehr ritterlicher Mann zu sein.“ Sie blickte von ihrer Arbeit auf. „Sind Sie mit Sir Gawain bekannt?“
Für einen kurzen Moment schienen sich die Gesichtszüge von Madame zu verhärten. „Ja, ich bin mit ihm bekannt“, erwiderte sie mit seltsam grimmigem Ton. Doch plötzlich schien sie sich zusammenzureißen und schenkte Diana ein vieldeutiges Lächeln. „Doch ich möchte nicht sagen, auf welche Art. Eine Frau in meiner Position muss ihre Geheimnisse bewahren können, verstehen Sie?“
Diana wurde das Gefühl nicht los, dass Madames Bekanntschaft mit Sir Gawain sicher nichts mit irgendwelchen vergangenen Liebesaffären zu tun hatte.
Nachdenklich widmete sie sich wieder ihrer Malerei und wünschte das Ende der Sitzung herbei, damit sie Thorne von ihren Eindrücken berichten konnte.
Als sie an diesem Nachmittag in seinem Zweispänner zum Hyde Park fuhren, erstattete sie ihm Bericht. Er runzelte die Stirn, als sie ihm von Venus’ eindringlichen Fragen nach Kyrene und Sir Gawain erzählte.
„Es ist, wie ich befürchtet habe. Sie versucht, Informationen von dir zu bekommen.“
„Was für Informationen?“
Diana merkte, dass Thorne mit der Antwort zögerte, während er geschickt seine zwei lebhaften Braunen durch die bevölkerte Straße lenkte. Doch schließlich meinte er seufzend: „Dinge, die mit dem Außenministerium Zusammenhängen. Eine kleine Abteilung von uns hat ihren Sitz auf Kyrene.“
Diana blickte ihn erstaunt an. „Warum denn dort? Kyrene ist so weit weg von England.“
„Aber ihre Nähe zu gewissen anderen europäischen Ländern ist von Vorteil. Wir können so viel schneller auf Schwierigkeiten und auf Bitten um Hilfe reagieren, als wenn wir nur auf unsere Londoner Agenten angewiesen wären.“
„Aber warum fragte Venus nach Sir Gawain?“
„Weil er unserer Abteilung auf Kyrene vorsteht.“
„Oh“, sagte Diana und wartete, ob Thorne vielleicht die Freundlichkeit hatte, etwas
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