Sinnliche Versuchung in Italien
hierbleibe. Italien gefällt mir sehr.“
„Das höre ich gern. Heißt das, Sie denken über mein Angebot nach?“
„Nein“, sie lachte, „nur, dass ich hier alles sehr genieße.“
„Das haben Sie verdient, nach dem, was Sie durchgemacht haben. Gute Nacht, Annabelle. Wir sehen uns dann morgen.“
„Danke für alles, Guilio. Ciao .“
Annabelle legte das Handy beiseite und drehte sich zu Lucca um. Er hatte sich vorgebeugt, mit den Unterarmen auf die Lehne des Beifahrersitzes gestützt und schaute sie durchdringend an.
Lange hielt sie seinem Blick nicht stand. „Warten Sie noch auf etwas?“
„Nein. Ich habe alles bekommen und schon eine Pille geschluckt. Meinetwegen können wir zurückfahren.“
Das klang schon viel weniger grob als vorhin. Vielleicht sah er endlich ein, dass er Hilfe brauchte, obwohl sie ihm lästig war, und wollte sie nicht ständig vor den Kopf stoßen. Dankbarkeit durfte sie allerdings nicht von ihm erwarteten. Wortlos startete sie den Motor und fuhr zurück Richtung Ravello.
„Mein Vater klang ausgesprochen gut gelaunt. Seit Jahren habe ich ihn nicht mehr so begeistert erlebt.“
„Ich habe ihn bisher nicht anders kennengelernt.“
„Hm. Ich kenne ihn eher als charmante Dampfwalze“, sagte Lucca bitter.
Sie hingegen würde Guilio als liebenswürdigen, dynamischen Menschen bezeichnen. Doch sie war nicht von ihm aufgezogen worden. Als Sohn hatte Lucca natürlich eine andere Sichtweise.
Am liebsten hätte sie tief aufgeseufzt. Einerseits nervte sie seine mürrische Art, andererseits war ihr klar, weshalb er sich so benahm. Er hatte Schmerzen. Seine Hilflosigkeit machte ihn unduldsam gegen sich und andere. Er hasste seine Schwäche, denn in seinen Augen musste ein echter Mann stark sein. In seinem Fall besonders gegenüber seinem Vater. Deshalb wagte er nicht, ihm in seinem jetzigen Zustand gegenüberzutreten, empfand das aber als feige und schämte sich dafür. Ein typisch männliches Verhalten.
Nur was wusste sie schon von Lucca? Nicht einmal, wobei er sich die Verletzung geholt hatte. Vielleicht hatte er auch ein seelisches Trauma, das er verarbeiten musste. Allein, ganz für sich.
Zweifellos war sie ihm zur falschen Zeit am falschen Ort begegnet. Und Guilio ahnte nicht das Geringste von den Problemen seines Sohnes.
Deshalb dachte sie mit Grauen an das, was sie Lucca alles an den Kopf geworfen hatte. Und selbst nachdem das anfängliche Missverständnis aufgeklärt worden war, hatte sich ihre Wut nur langsam gelegt. Sie ahnte auch, weshalb, und gestand es sich nur ungern ein. Ihr Zorn auf Ryan war wieder hochgekocht. Wie oft hatte er sie durch sein spätes Nachhausekommen aus dem Schlaf gerissen!
Inzwischen wusste sie, dass er nicht immer vom Nachtdienst gekommen war, sondern bei der Frau gewesen war, die er inzwischen geheiratet hatte und die Mutter seines Babys war. Annabelle hatte kein Kind bekommen dürfen, weil er angeblich erst die Facharztausbildung beenden und eine eigene Praxis hatte eröffnen wollen.
Nein, das Gift, das sie letzte Nacht versprüht hatte, hatte nicht Lucca gegolten, sondern ihrem Exmann.
Als sie wenig später den Wagen vor dem alten Haus parkte, glaubte sie, dass Lucca eingenickt war. Nachdem sie ihn mehrmals angesprochen und er nicht reagiert hatte, stieg sie aus, nahm die Krücke und pochte damit an die Scheibe des Autos. Er rührte sich jedoch nicht.
Daraufhin öffnete sie die hintere Wagentür. „Lucca.“ Sanft legte sie ihm die Hand auf die Schulter. „Wach auf. Du bist zu Hause. Ich bringe dich hinein.“
Er richtete sich auf dem Sitz mit einem Ruck auf und begann unaufhaltsam zu sprechen. Was er sagte, verstand sie jedoch nicht, denn es waren italienische Worte. Sie klangen emotionslos, wie Befehle oder Instruktionen. Dabei drückten seine Gesichtszüge blankes Entsetzen aus. Er griff nach ihrem Oberarm, als wäre er ein Rettungsanker. Und dann begann er immer wieder einen Namen zu schreien, bis er nur noch schluchzte. Luccas offensichtliches Leid zerriss ihr fast das Herz.
Was immer er im Schlaf durchmachte, musste unbeschreiblich schrecklich sein. Er schien mit einem Erlebnis zu kämpfen, das ihn traumatisiert hatte. Annabelle kannte solche Patienten und verstand nun besser, weshalb er sich vor seiner Familie verkroch. Er rechnete nicht mit Verständnis und glaubte, allein damit fertig werden zu müssen. Das war typisch für ein posttraumatisches Syndrom.
Sie beugte sich vor und legte ihm den anderen Arm um die Schulter,
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