Sinnliches Erwachen
– oder dorthin, wo einmal sein Haaransatz gewesen war. „Bist du ein Mensch?“
„Ha, ha. Du weißt, was ich bin. Warte – das bin ich doch, oder?“
Nicht lächeln. „Das bist du. Und damit ist diese Unterhaltung beendet.“ Um ihrer beider willen. „Es gibt da ein paar Dinge zu erledigen, und ich bin hoffentlich Manns genug, sie anzupacken.“
12. KAPITEL
Nicola sah zu, wie Koldo durch ihr gesamtes Haus marschierte, alles reparierte, was kaputt war, die Schlösser an Türen und Fenstern verstärkte und sich sogar ein paarmal fortbeamte, um ihre Vorratsschränke und den Kühlschrank aufzufüllen. In ihrem Kopf drehte sich alles.
Die Monster, die sie als Kind gesehen hatte, waren real.
Dämonen hatten sie und ihre Schwester vergiftet.
Der Kerl, an den sie ununterbrochen denken musste, war nicht einmal ein Mensch.
Sie konzentrierte sich auf ihn – das war noch am unkompliziertesten. War er von Natur aus kahl, oder rasierte er sich den Kopf? Auf seiner Kopfhaut war kein Hauch von Stoppeln zu entdecken, was sie zu der Annahme brachte, dass er keine Haarwurzeln hatte. Aber das spielte kaum eine Rolle. So wunderschön, wie er war, brauchte er keine Haare.
Und jetzt, da sie wusste, wie sein Rücken unter diesem Gewand aussah, fand sie ihn mehr als schön; sie fand ihn atemberaubend. Parallel zu seinem Rückgrat befand sich auf beiden Seiten ein Streifen Narbengewebe, etwa dreißig Zentimeter lang und zehn Zentimeter breit. Irgendwann in seinem Leben hatte er Flügel besessen. Jemand oder etwas – ein Dämon? – hatte sie ihm abgeschnitten. Jetzt zog sich von beiden Narben aus rote Tinte über seine Haut und bildete herrliche Flügel. Die Bilder waren so unglaublich detailliert, jede einzelne Feder hatte ihren Platz. Und die Muskeln unter diesen Tattoos … Herr im Himmel.
Wie konnte ein Mann, der so bedrohlich aussah wie er, so gütig sein? Oder waren der Mann und der Gesandte ineinander verwoben? Konnte es den einen ohne den anderen nicht geben?
Und was war mit dem schwelenden Feuer in seinen Augen? Rührte es von einer unbekannten Gefahr her? Oder war es Begehren?
Schließlich war er fertig mit dem Einräumen ihrer Schränke und lehnte sich an die Trennwand zwischen ihrer Kochzeile und dem Wohnzimmer. Er verschränkte die Arme vor der Brust und nickte. „Also weißt du doch , wie man sich entspannt.“
Ha, ha. „Wenn du mich verhätscheln willst, bin ich die Letzte, die dich davon abhält.“
„Um genau zu sein, will ich dir ein paar Fragen stellen. Warum arbeitest du so hart?“
Was er wirklich fragte: Warum arbeitest du so hart und lebst trotzdem in so ärmlichen Verhältnissen? Alles, was sie dazu sagte, war: „Krankenhausrechnungen.“
Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder und stieß dann schwer den Atem aus. „Ich will deine Rechnungen bezahlen“, sagte er zögerlich und schien damit zu rechnen, dass sie ihm gleich von der Couch an die Gurgel gehen würde, weil er es wagte, so etwas vorzuschlagen.
Als könnte ein so gütiges Angebot sie beleidigen. „Das sollte kein Wink mit dem Zaunpfahl sein oder so was“, erklärte sie lächelnd. „Und Moment mal. Du hast Geld?“
„ Eine Menge Geld. Wir Gesandten werden für unsere Dienste entlohnt. Und nichts würde ich lieber tun als das.“
„Aber …“
„Ich hatte sowieso vor, deine Rechnungen zu bezahlen, egal wie. Auf diese Weise kann ich den Stapel Mahnungen aus dem Korb, den du mit „Das letzte Verhängnis“ beschriftet hast, mit deinem Wissen an mich nehmen, statt ihn zu stehlen und mir vielleicht eine Strafe einzuhandeln.“
Die Vorstellung, wie er ihr eine so drückende finanzielle Last von den Schulternnahm … dass sie nicht länger fürchten müsste, ihr Haus zu verlieren oder dass ihr der Strom abgestellt würde … dass sie sich echte Nutella leisten könnte statt einer öligen Kopie …
„Oh, Koldo.“ Sie sprang von der Couch und stürzte sich auf ihn. Anfangs war er vollkommen steif. Doch nach ein paar Sekunden entspannte er sich und legte die Arme um sie. „Ja, ja, tausendmal ja. Ich nehme dein Angebot an. Ach ja, gern geschehen“, zog sie ihn auf, um das Zittern ihres Kinns zu überspielen. „Ich meine, was bin ich doch für eine großzügige Seele, dass ich nicht zulasse, dass du bestraft wirst.“
Da schnaubte er, und es war ein so herrliches Geräusch. „Das gefällt dir also? Es macht dich glücklich.“
„Aber so was von.“ Bumm, bumm, bumm, donnerte ihr das Herz rhythmisch in der Brust. „Ich
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