Sinnliches Erwachen
sie.
Koldo teleportierte sich zu der Höhle, in der er seine Mutter eingesperrt hielt, bliebaber vorn im Eingangsbereich stehen. Er lauschte. Begleitet vom Tropfen und Rauschen des Wasserfalls, hörte er Cornelia vor sich hin murmeln, wie sehr sie ihn hasste.
„… von Grund auf verdorben, genau wie sein Vater. Lebt nur dafür, mich zu quälen.“
Er knirschte mit den Zähnen. Wie konnte sie ihn nur so sehen? Nicht im Moment – im Moment hatte sie allen Grund dazu –, sondern früher, als er ein so unschuldiger kleiner Junge gewesen war, der sich so verzweifelt nach ihrer Zuneigung gesehnt hatte. Auch nach all den Jahrhunderten hatte er es immer noch nicht herausgefunden.
Den Fehler, sie zu fragen, hatte er nur einmal begangen.
Alles an dir widert mich an! Du bist böse. Eine Missgeburt. Aber das weißt du alles. Das hab ich dir schon gesagt.
Tausendmal und öfter. Aber ich bin unschuldig. Blut von deinem Blut.
Du trägst meine Schande in dir, sonst nichts.
Unwillkürlich ballte er die Fäuste. Was würde Nicola jetzt von ihm denken, wie er hier stand, während eine Frau durch seine Hand litt? Nicola, die es genossen hatte, ihn zu berühren. Nicola, die ihn angesehen hatte, als wäre er ihrer würdig. Nicola, die ihn mit solcher Leidenschaft geküsst und noch um mehr gebeten hatte.
Er hatte sie in den Armen gehalten. Hatte ihren Leib an seinem gespürt, ihren Duft in seiner Nase. Hatte den donnernden Rhythmus ihres Herzens gefühlt. In ihm hatte das Begehren einen tosenden Sturm entfacht, unentrinnbar, fast unbezähmbar.
Seine Hände hatten genauso zu brennen begonnen wie sein Blut, als erwachte er zum ersten Mal zum Leben. Statt in ein tiefes Loch der Verzweiflung zu stürzen – blutbefleckte Hände auf einer Frau, die etwas Besseres verdiente –, hatte er in dem Wissen geschwelgt. Gesandte produzierten Essenzia, ein feines Puder, das direkt unter ihrer Haut saß. Koldos Essenzia war noch nie ausgetreten.
Bald würde sich das ändern. Wenn er diesen Weg weiter beschritt, würde sie bald aus seinen Poren sickern und ein helles Strahlen auf allem hinterlassen, von dem er es wünschte. Einen goldenen Glanz, der nur für die Wesen der Anderswelt sichtbar wäre. Für jeden Dämon wäre das eine Warnung. Wenn du anrührst, was mir gehört, wirst du leiden.
Hätte ihre Schwester sie nicht unterbrochen …
Nun, darüber würde er jetzt nicht nachdenken. Er teleportierte sich zurück zu Nicolas Haus und landete im Hinterhof. Seine Mutter hatte genug Essen und Wasser, um eine Woche zu überstehen. So lange würde er nicht fortbleiben, aber ein paar Tage würde er sie noch sich selbst überlassen. Wie oft hatte sie ihn im Palast zurückgelassen und alle Bediensteten mitgenommen? Unzählige Male. Schon als Sechsjähriger hatte er sich sein Essen selbst jagen und erlegen müssen, um zu überleben. Sie hatte es verdient, allein gelassen zu werden, das und noch viel mehr.
Und er würde sich nicht schuldig fühlen wegen der Art und Weise, wie er sie behandelte. Würde er nicht!
Sorgsam suchte er den Hinterhof nach Spuren von Eindringlingen ab – ob menschlich oder dämonisch –, fand aber glücklicherweise nichts. Als er am Fenster des Gästezimmers vorbeikam, gestattete ihm ein Spalt in den Vorhängen einen Blick nach drinnen. Er hielt inne.
Nicola und Laila saßen auf dem Bett. Beide Frauen hatten die Haare zu einem dicken Knoten hochgebunden und einen grünen Schlamm im Gesicht. Sie redeten und lachten und lackierten sich gegenseitig die Zehennägel. Alle paar Minuten unterbrachen sie ihre Arbeit, um sich ein Kissen zu packen und der anderen damit einen Knuff zu verpassen.
Also hatten die Männer, die er über die Jahre belauscht hatte, recht gehabt. Jedes Mal, wenn zwei Menschenfrauen zusammenkamen, gab es eine Kissenschlacht.
Nie zuvor hatte ihn eine solche Vorstellung fasziniert. Doch jetzt war all seine Aufmerksamkeit gefesselt auf Nicola gerichtet. Sie war genauso entspannt und glücklich, wie sie sein musste. Und sie war schlicht betörend. Das stürmische Grau in ihren Augen hatte sich beruhigt und nichts als helles Morgenlicht zurückgelassen. Einen perfekten, wolkenlosen Himmel.
Er hatte ihre zierliche Taille in Händen gehalten. Fast hatte er die Finger in ihrem Haar vergraben. Alles genommen, was sie zu geben bereit war. Vielleicht würde er das eines Tages. Doch wie würde sie reagieren? Genauso begierig wie letzte Nacht? Oder würde etwas Zeit zum Nachdenken sie zur Vernunft bringen – zur
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