Sinnliches Erwachen
zurückreisen … Er wünschte sich so sehr, er könnte es.
Du musst dir verzeihen , hatte Nicola gesagt.
Er bezweifelte, dass sie diese Worte ausgesprochen hätte, wenn sie auch nur von der Hälfte der Dinge wüsste, die er getan hatte. Lieber hätte er sterben sollen, als den Forderungen seines Vaters nachzugeben. Er hätte …
Konzentrier dich. Ablenkung war tödlich. Genau. Also. Eine alte Fehde war von Neuem entflammt. Der erste Streich: Nox hatte sich Nicola gezeigt. Der zweite Streich: die Verwüstung dieses Parks. Der dritte würde nur allzu bald folgen – doch er würde von Koldos Hand fallen.
Er hätte wetten können, dass sein Vater einen Mann dagelassen hatte, jemanden, der die Gegend beobachtete und über jeden von Koldos Schritten Bericht erstattete. Aufmerksam blickte er sich um, und tatsächlich, am Brezelstand entdeckte er einen hochgewachsenen Mann mit kahlem Schädel und dunklen Raubtieraugen, der sich soeben einen Snack besorgte und in die richtige Richtung spähte.
Auch wenn der Kontakt mit dem Nebel ihn etwas weich in den Knien gemacht hatte, trat Koldo aus dem Schutz der Wolke hervor, sodass der Nefas ihn sehen konnte.
Ein breites, zähnefletschendes Grinsen trat auf das Gesicht des Mannes, und seine Reißzähne leuchteten schneeweiß, als er auf Koldo zukam. Aus seinen Poren sickerte kein Nebel. Diese Körperfunktion war etwas, das alle Nefas steuern konnten; sie entschieden sich bloß die meiste Zeit über, es nicht zu tun.
„Wir ziehen das wirklich durch, was?“, meinte Axel voller Vorfreude. „Okay, alles klar. Gut, dass ich heute Morgen meine Spezialunterhose für große Jungs angezogen hab.“
Gespannte Erwartung machte sich summend in Koldo breit. Auf halber Strecke trat er seinem Feind entgegen und musterte ihn von Neuem. Sie waren einander nie begegnet. Entweder war der Mann mehrere Jahrhunderte jünger als Koldo, oder sein Vater hatte ihn einem anderen Nefas-Clan gestohlen.
Vollkommen sorglos mampfte er seine Brezel. Er schien anzunehmen, vor menschlichen Zeugen würde Koldo nichts unternehmen. „Hat ganz schön gedauert, bis du deinen Mut zusammengekratzt hast und hier aufgekreuzt bist“, begann der Nefas mit einer unnatürlich tiefen Stimme. „Ich habe eine Botschaft für dich, Koldo der Schreckliche.“
Koldo hatte keinerlei Interesse daran, den Rest zu hören. Alle Nefas beherrschten Teleportation, deshalb musste er schnell handeln. In einer einzigen flüssigen Bewegung zog er seine zweischneidigen Kurzschwerter aus der Luftfalte hervor, in der er seine Waffen aufbewahrte, und schlug zu, indem er die Handgelenke kreuzte und quasi eine riesige Schere zuschnappen ließ.
„Wolke“, rief Axel, als der Kopf des Mannes sich von seinem Körper löste.
Augenblicklich war die Wolke da und schirmte das Geschehen vor neugierigen Blicken ab, als beide Teile des Mannes zu Boden fielen und eine Pfütze aus schwarzem Blut sich ausbreitete.
„Tja, die Brezel ist hin“, kommentierte Axel im Plauderton. „Und seine Nachricht hat dich nicht interessiert?“
„Nein. Ich wusste, was er sagen würde.“ Einen Gruß von Koldos Vater und eine Drohung gegen Nicola, alles im Versuch, Koldos Furcht anzustacheln.
„Was dagegen, es auch dem Rest der Klasse mitzuteilen?“
„Ja.“
„In Ordnung, hat mich sowieso nicht wirklich interessiert. Aber ich muss schon sagen, ich bin verdammt stolz gerade.“ Axel griff sich mit einer Hand ans Herz. „Das war meine patentierte Lieblingstechnik, die du da kopiert hast, womit bewiesen ist, dass ich mehr als genial bin. Ich bin genitastisch! Gibt es das Wort? Wahrscheinlichist es ein Mädchenwort, aber wen interessiert’s! Ehrlich jetzt. Hab ich da eine Träne im Augenwinkel? Ich bin mir nämlich ziemlich sicher, dass ich da eine spüre.“
Der Humor des Mannes war Koldo vollkommen unverständlich, aber trotzdem bemerkte er, dass er Axel langsam zu mögen begann. Er war stark, mutig und schreckte niemals vor einem Kampf zurück. Niemals ließ er sich von Koldos Launen mit runterziehen, und bereitwillig tat er alles, worum Koldo ihn bat. Oder was er ihm befahl.
Was hatte der Mann für eine Geschichte?
„Du bist sehr seltsam“, stellte Koldo fest.
„Ach was. Ich bin mysteriös. Das ist ein großer Unterschied.“
„Du bist definitiv seltsam.“
Koldo verstaute den Kopf und den Körper in derselben Luftfalte, in der auch die Bäume und der abgetragene Boden lagerten, und sah nach, ob noch weitere verseuchte Fußabdrücke zu finden
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