Sinnliches Erwachen
Stellen war er aufgekratzt und mit scharfen Krallen zerfetzt worden. Der schweflige schwarze Nebel, den die Nefas ausschieden, klebte überall auf dem Holz. Hunderte winziger Insekten schienen vor den Beschädigungen zu fliehen.
Schon jetzt zeigte der Baum Anzeichen seines bevorstehenden Todes. Die Blätter verwelkten. Das Gras rundherum war gelb geworden. Mehrere tote Vögel lagen in seinem Schatten. Ein Hund, der gerade vorbeigekommen war, hatte versucht, hier das Bein zu heben, und humpelte jetzt jaulend neben seinem Herrchen her, vermutlich mit brennenden Pfoten.
„Na, wie sieht’s aus?“, fragte Axel und trat neben ihn.
„Warst du jemals Nefas-Nebel ausgesetzt?“
„Na klar. Wer denn nicht?“
Ungefähr jeder, der noch atmete. Aber gut. Axel wusste also, was ihn erwartete, wenn er das Zeug auch nur streifte. „Kontrollier auch die anderen Bäume. Wir werden jeden einzelnen, der damit besudelt ist, ausreißen und die gesamte Umgebung reinigen müssen.“
„Du willst also in unserer kleinen Partnerschaft den Boss geben?“, fragte Axel beiläufig.
Koldo ignorierte die Frage. „Hast du eine Wolke?“
„Ist heute der Tag der dämlichen Fragen? Natürlich hab ich ‘ne Wolke.“
„Ruf sie her.“
Axel nickte, und einen Sekundenbruchteil später waren sie in weißen Dunst gehüllt.
„Lass die Menschen den Park sehen“, wies Axel die Wolke an, „aber lass sie nicht in unsere Nähe.“
Während der Dunst verblasste und quasi durchsichtig wurde, dabei aber weiterhin Substanz behielt und sie so quasi in eine Blase hüllte, machte Koldo sich an die notwendige Arbeit. Das Gift und der Nebel würden ihn nicht umbringen, aber sie würden ihn deutlich schwächen. Nichtsdestotrotz schlang er die Arme um den Baumstamm, zog mit aller Kraft und riss ihn samt Wurzelwerk aus dem Boden. Dann warf er das ganze Ding in eine Luftfalte, um es später zu verbrennen. Sorgsam sammelte er jedes Häuflein Erde auf, das den scharfen, unverkennbaren Gestank des Nebels an sich hatte. Hob jedes abgeworfene Blatt auf und selbst die toten Vögel.
„Da waren es nur noch fünf“, informierte ihn Axel, als er wieder neben ihm auftauchte.
Die nächsten paar Stunden verbrachten sie mit ihrer Säuberungsaktion. An jedem der verseuchten Orte ließ Koldo ein Stück der Wolke zurück, damit die Menschen nicht sehen konnten, was geschehen war. Heute Nacht, wenn alle sicher in ihren Betten lägen, könnte Axel die Barriere entfernen. Morgen früh würden die Menschen hier ankommen und über diese „Farce“ denken, was sie wollten.
„Was weißt du über die Nefas?“, fragte er Axel, als sie die letzten infizierten Blätter aufsammelten.
„Sie greifen gern Menschen, Gesandte und so gut wie jeden anderen an, und Regeln, Mitgefühl und Großzügigkeit halten sie für Blödsinn. Oh, ach ja, und sie sind genauso schlimm wie Dämonen.“
Koldo nickte. „Sie sind Strategen. Anfangs tun sie kleine Dinge, um zu sehen, wie ihr Gegner reagiert, und um so viel Angst wie nur möglich zu verbreiten. Denn Angst verwirrt, schwächt und bringt einen dazu, Dinge zu tun, die man normalerweise nicht tun würde.“
„Deine Mutter hat dir die Flügel genommen, aber ich werde dir das Herz rausreißen und es den Hunden zum Fraß vorwerfen“, drohte sein Vater. Silbern schimmerte die Klinge des Messers in seiner Hand im Licht. „Willst du, dass ich dir das Herz rausreiße, Kleiner?“
Warum nicht? Du hast es sowieso schon gebrochen . „Ich will, dass du stirbst.“ Er saß in der hintersten Ecke seines Käfigs, dreckig und blutverklebt von seinen zahlreichen gescheiterten Fluchtversuchen.
Ein höhnisches Lachen dröhnte durch die Luft. „So ein Pech aber auch. Ich habe nicht vor, abzutreten. Und ich hatte dir fünf Tage gegeben, um zu tun, was ich dir befohlen habe. Jetzt hast du fünf Sekunden dafür. Bring den Menschen um oder trag die Konsequenzen. Eins.“
„Eines Tages werde ich dich für das hier leiden lassen.“
„Drei.“
„Eines nicht allzu fernen Tages.“
„Fünf.“ Die Scharniere quietschten, als die Tür zu einem Käfig, aus dem er sich nicht fortbeamen konnte, aufgeworfen wurde.
Koldo sprang auf, wacklig auf den Beinen, schlich hinüber zu dem zitternden Menschen, der zu ihm in die Zelle geworfen worden war, und stürzte sich auf ihn.
In der Gegenwart presste er sich die Fäuste auf die Augen, um die Übelkeit erregenden blutgetränkten Bilder hinter seinen Lidern auszulöschen. Könnte er doch nur in der Zeit
Weitere Kostenlose Bücher