Sintflut (German Edition)
schließlich nicht jedem recht machen. Als ob ich einen besonders abartigen Geschmack hätte.
»Die Hand am Ohr«, sagt Dietzendorf nach einer Weile, »deutet auf eine weitere menschliche Fähigkeit hin: Zuhören, Lernen, Verstehen.«
»Aber was für einen Sinn sollte es haben, das darzustellen?«, frage ich.
»Keine Ahnung«, erwidert Dietzendorf. Ich habe das Gefühl, er sagt nicht alles, was er weiß. Aber wer macht das schon.
Das Essen kommt und eine Weile hängt jeder seinen Gedanken nach. Max widmet sich seiner Hühnerbrust, schaut mich aber mehrmals mit einem unbestimmbaren Gesichtsausdruck an. Er macht sich wahrscheinlich Sorgen wegen Rumänien, aber vielleicht hofft er auch, dass ich keinen Appetit habe und ihm von meiner Lammnuss was übrig lasse.
Dietzendorf braucht extrem lange für seinen Salat, doch irgendwann hat er auch das letzte Blatt vertilgt. Dann räumt der Kellner den Tisch ab, Max und ich bestellen Kaffee, der Journalist zu meinem Erstaunen einen Grappa. Dazu holt er eine bereits gestopfte Pfeife aus seiner Jackentasche und zündet sie an.
»Der Denker und sein Freund hier gehören irgendwie zusammen«, spekuliert Dietzendorf. »Und wenn das stimmt, wenn sie wirklich zu einem Ensemble gehören, dann ist das eine große Sache. Auch die Art, wie Ihre Schwester mir aus dem Weg geht, spricht dafür. Und jetzt schickt sie Notrufe aus. Ist Ihnen eigentlich klar, Frau Adler, dass da unten richtig böse Buben auf Sie warten? Leute, die keinen Moment zögern, Sie oder Paula aus dem Weg zu schaffen, wenn Sie ihnen in die Quere kommen?«
Max nimmt meine Hand und drückt sie. Es tut richtig weh und ich sehe für einen Moment die Fürsten der Finsternis auf mich zukommen. Dann ist der Moment vorbei, und der ganz normale Kellner bringt die ganz normale Rechnung und geht ganz normal wieder weg. Max lässt mich los und legt ein paar Scheine in die Rechnungsmappe, ganz normal, so wie er es immer tut.
»Überlassen Sie es doch mir, mich um ihre Schwester zu kümmern«, schlägt Dietzendorf zum Abschied vor. »Ich fahre schon morgen nach Rumänien zurück. Sobald ich sie aufgespürt habe, melde ich mich bei Ihnen, darauf können Sie sich verlassen.«
»Nein«, erwidere ich viel zu laut. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Max seinem Freund eine Fratze schneidet.
7
»Du bist jetzt gut genug«, stellt Max eine Woche später fest, als ich mit meinem abendlichen Steinzeit-Vortrag fertig bin. Geduldig hat er sich das seit Tagen angehört, nur hier und da etwas ergänzt oder richtig gestellt.
»Jetzt weißt du fast so viel wie Paula«, sagt er lächelnd, aber ich gebe das Lob gleich an ihn zurück. Er freut sich sonst immer, wenn andere merken, dass er sich nicht nur mit Sicherheitsvorkehrungen auskennt, aber diesmal winkt er nur müde ab.
»Fang morgen mit dem Packen an«, meint er resigniert, steht abrupt auf und geht Richtung Kühlschrank. Wahrscheinlich will er dem Abschiedsschmerz entkommen, der uns seit dem Abend mit Hans Dietzendorf nicht mehr losgelassen hat. »Du fliegst in ein paar Tagen«, ruft er mir zu, »und du solltest die richtigen Sachen dabei haben.«
Was nehme ich mit? Es ist Anfang August und in Rumänien hat es wie hier seit Wochen nicht geregnet. In Bukarest ist es schwül, in Konstanza ist es schwül, im Donaudelta ist es schwül. Ob Paula sich im Gebirge aufhält, ist mehr als fraglich, auch wenn das Foto mit der Figur dort aufgenommen wurde.
Paula liebt die Ebene. Und sie ist gerne am und im Wasser, wie es sich für ihr Sternzeichen Fische gehört. Während ich ein Steinbock bin und es mich eher in die Bergwelt zieht. Eine Liebhaberei, die Max mit mir teilt, obwohl er Zwilling ist. Wir machen jedes Jahr eine Bergtour, nur dieses Jahr nicht, weil ich ja unbedingt nach Rumänien muss. So fährt Max eben ohne mich. Das wäre in Ordnung für ihn, sagt er. Wir bleiben jedoch in Kontakt: mit dem Notebook und einem Handy, das angeblich überall auf der Welt funktioniert. Meine Telefonnummer kennt nur Max und die von Max kennt außer mir noch seine Assistentin Jutta Bandelow, die ihn im Notfall erreichen können muss.
Ich verstaue die ganze Technik und ein paar Anziehsachen in meinen Aluminiumkoffer, auf den ich mich auch draufsetzen und ausruhen kann. Und packe das schwarze Jackett ein, das Max nicht mag. Darum ziehe ich es nur an, wenn ich alleine verreise. Für mich ist es so etwas wie ein zweites Zuhause. Es ist bequem, wie alle unförmigen Kleidungsstücke, und ich habe sogar
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