Sintflut (German Edition)
ich Max kenne, glaube ich an einen gütigen, liebenden Gott, auch wenn es auf der Welt noch so ungerecht zugeht.
Gedankenstopp. Alle Passagiere sind durch die Kontrollen und warten auf den Start der Maschine. Ich bete und vollziehe das kleine Ritual, das ich mir ausgedacht habe, um die Angst in den Griff zu bekommen: Einatmen, ausatmen, gerade hinsetzen, zwei Finger der rechten Hand zwischen die Augenbrauen legen, den Kopf beugen und warten, bis es überall kribbelt. Dann ist das Flugzeug in der Luft. Noch lebe ich. Wie schön das ist. Mit Max und eine Weile zur Not auch ohne.
8
Deutschland verschwindet unter einer dichten Wolkendecke, der erste Regentag seit Wochen. Am liebsten sitze ich während des Fluges ganz für mich da, schaue aus dem Fenster oder lese. Dann merkt niemand, wie mies ich drauf bin. Doch leider lassen sich Kontakte nicht vermeiden, neben mir sitzt eine Blondine. Sie trägt ein taubenblaues Seidenkostüm, das ausgezeichnet zu ihrem Typ passt. Kaum schaue ich zu ihr hin, wendet sie mir auch schon das Gesicht zu. Ich sehe einen breiten Mund, rot und lebenslustig. Sie lacht mich an, zeigt ihre makellosen Zähne und ihr gesundes, rosiges Zahnfleisch. Dazu kommen blaue Augen, eine wohlgeformte kleine Nase, ein langer Hals und eine teuer aussehende Perlenkette. Alles in allem ein Erfolgsmodell. Extrovertiert, gut ausgebildet und keine Flugangst, darauf wette ich.
»Ach könnte ich bitte mal Ihr Bordmagazin haben?«, fragt sie strahlend, »bei mir ist keins und ich wüsste gern, was das hier für eine Maschine ist.«
Ich gebe es ihr und sie hält mir die Zeitschrift entgegen, in der sie herumgeblättert hat. »Falls Sie auch was lesen möchten. Vorne lag keine einzige Zeitung, als ich eingestiegen bin. Die hier ist von mir.«
Ich nehme das Heft und schaue mir die Titelseite an. Come On steht in großen blauen Buchstaben vorne drauf, darunter in kleiner Schrift: Die Welt gehört Dir. Ein Hochglanzmagazin, das es nur gibt, weil es Werbung gibt. Zwischen all der Werbung finden sich Reportagen, Kochrezepte, Ratschläge aller Art und Sensationsberichte, alles mit schönen Bildern und trotz seiner Buntheit irgendwie langweilig, aber ich könnte nicht genau sagen, woran das liegt.
»Die Zeitschrift können Sie behalten, wenn Sie wollen«, sagt die Frau neben mir.
»Vielen Dank, aber …«
»Ich kenne das Heft wirklich schon in- und auswendig. Schließlich arbeite ich da.«
»Sie sind Reporterin?«, frage ich nur mäßig interessiert, denn eigentlich will ich meine Ruhe haben.
»Ja, aber zurzeit ist es einfach nur nervig. Letzte Woche Urlaubsvertretung in der Düsseldorfer Lokalredaktion, dann mit dem Chef zu einer Tagung in Kiel. Jetzt Bukarest. Die schicken mich hin, wo sonst keiner hin will.«
Dann erzählt sie von ihrer Arbeit. Von den Kollegen, von ihrem Chef, von dem Problem, sich als Frau in einer Männerwelt durchzusetzen. Meinen Einwand, dass doch gerade der Journalismus mittlerweile eine Domäne der Frau ist, überhört sie. Ich belege diesen Sachverhalt mit Zahlen, es gibt weit mehr Frauen im Journalismus als Männer, das habe ich erst kürzlich irgendwo gelesen, aber auch das lässt sie völlig unbeeindruckt.
»Aber wir Frauen sind immer noch benachteiligt«, wiederholt sie.
Mir reicht es jetzt langsam. »Sind Sie eigentlich taub oder was«, frage ich scharf.
»Wie bitte?« Blondie schaut ganz entsetzt, denn das war sehr grob von mir. Aber jetzt hört sie mir wenigstens zu.
Frauen und Männer sind gleichberechtigt, so steht es im Grundgesetz. Ich habe das immer wörtlich genommen. Auch wenn in der Realität noch vieles zu wünschen übrig lässt, so ist doch die Selbstbestimmung als Angebot da, ich rede natürlich nur vom freien Westen. Jede moderne Frau kann leben, wie sie will, aber viele nutzen ihre Chancen nicht.
»Aber wir leben doch nun mal in einer Männerwelt und …«
»… damit Schluss, nicht wahr?«, unterbreche ich sie, ich kann das ewige Gejammer einfach nicht mehr hören. »Wissen Sie was? Sie erinnern mich an meine Mutter. Der hat man beigebracht, nicht über ihren Stuhlgang zu reden. Wenn sie es an der Blase hat und ich zu ihr sage: ›Mutti, eine Blasenentzündung wird fast immer durch Kolibakterien verursacht‹, stellt sie sich taub. Sie will nicht hören, wie die Bakterien aus ihrem Stuhl vom Darmausgang in ihre Harnröhre geraten. Sie will nicht hören, dass Kälte die Entzündung begünstigt, aber nicht auslöst. Keine Bakterien, keine Blasenentzündung,
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