Sintflut (German Edition)
der glaubt, Autos hätten eine Seele. Einmal, nach der Trennung von einem Mann, kaufte ich mir ein Mercedes-Coupé. Es war alt, aber kein Oldtimer und sah aus wie ein ironischer Kommentar auf das ewige Sportwagengetue.
Es war eins der letzten richtigen Autos, die in diesem Land gebaut wurden. Ein finales Aufbegehren gegen Mittelmaß und Gleichmacherei. Kofferraum und Motor hatten Größe und Format, die Vordersitze waren so breit wie Wohnzimmersessel. Ich konnte die Beine hinstellen, wo ich wollte, ich konnte den rechten Arm beim Fahren auf meiner Rückenlehne ablegen. Fast jeden Samstag, wenn ich nicht gerade Dienst hatte, fuhr ich zu einer Waschanlage. Nach dem Waschen polierte ich Lack und Chromteile. Ich war die einzige Frau in einer autoverliebten Männerwelt und fühlte mich dort gut aufgehoben. Wenn das Auto so richtig schön glänzte, fuhr ich mit heruntergekurbelter Scheibe durch die Stadt, dann raus in den Taunus, den Odenwald, den Spessart, sah die Landschaft vorbeiziehen, hörte die Musik von Nina Simone, Tom Waits oder John Lee Hooker. Es war eine schöne Zeit.
Der Mercedes und die Musik waren genau das Richtige für mich. Andere hätten eine Therapie gebraucht, ich brauchte nur ein neues Auto, als Ersatz für den Mann, der mich gerade verlassen hatte. Am meisten ärgerte ich mich über die mit ihm verschwendete Zeit. Ohne die Demütigung, die mit dem Verlassenwerden immer verbunden ist, hätte ich ihn schnell vergessen. So aber verfluchte ich ihn noch eine Weile, bis auch das vorbei war.
Einen neuen Mann hatte ich deshalb noch lange nicht. Ich stellte fest: Die meisten Männer in meinem Alter waren verheiratet und hatten Kinder. Einige lebten in Scheidung, wollten aber die neu gewonnene Freiheit auskosten. Andere waren zwar willens, aber irgendwie übrig geblieben und das hatte meistens einen guten Grund. Nach Affären stand mir damals nicht der Sinn. Sie hätten mich nur Zeit gekostet und ich hätte immer wieder von vorne anfangen müssen: Erklären, warum ich Einkaufsbummel hasse, warum ich morgens im Bett Kaffee trinken will und warum ich amerikanische Filme lieber mag als französische.
Dann lernte ich Max kennen, auf einer Party bei Paula. Damals wohnte sie noch in einer Wohngemeinschaft und so kamen alle möglichen Leute zusammen, sogar Männer in dreiteiligen Anzügen. Max stand am Fenster und beobachtete das Treiben. Sein Anzug schien ihn zu isolieren, jedenfalls sah ich ihn nur kurz mit Paula reden, danach mit niemandem mehr. Auch ich ging nicht zu ihm hin, warum, weiß ich auch nicht. Er gefiel mir, aber er hatte auch etwas Abweisendes. Wir tauschten einige Blicke, aber sonst machte er keine Anstalten, mich kennenzulernen. Trotzdem ließ er mich nicht aus den Augen, wie mir schien. Wir sprachen den ganzen Abend kein Wort miteinander, doch als ich ging, sagte er: »bis bald«, und ich winkte ihm zum Abschied zu. Einige Wochen später hatte er in Frankfurt zu tun. Er rief mich morgens um zehn im Büro an.
»Guten Morgen, Max Adler hier«, sagte er in einem Ton, als ob ich wissen müsste, wer er sei. Ich wusste es nicht, denn ich hatte die Party längst vergessen. Es entstand eine ungemütliche Pause. Als ich immer noch nicht reagierte, ließ er sich zu einer Erklärung herbei. »Wir haben uns neulich auf Paulas Party gesehen. Nur gesehen, nicht gesprochen. Ich für meinen Teil würde das Sprechen jetzt gerne nachholen. Wenn Sie auch Lust haben, dann könnten wir uns doch heute Abend …«
»Jetzt weiß ich, wer Sie sind«, reagierte ich endlich. »Tut mir leid, aber morgens ist meine Leitung immer etwas länger. Der Mann im Anzug, nicht wahr?«
Das Gespräch entwickelte sich. Es dauerte nicht besonders lang, aber es genügte mir, um sämtliche Vorbehalte gegen Männer im Anzug über Bord zu werfen und ihn abends vor seinem Hotel zu einem Spaziergang abzuholen.
Er war der Richtige. Ich ahnte es, sobald er neben mir saß und mit seiner sanften Stimme zu sprechen anfing, während ich den Mercedes lenkte. Ob einer der Richtige ist oder der Falsche, hat nichts mit Vorlieben und Abneigungen zu tun. Es ist etwas, das im Raum schwebt wie der Heilige Geist. Man gehört zueinander, ohne sich das ständig zu versichern. Man muss keine klaren Verhältnisse schaffen, weil sie von vornherein klar sind. Manche sagen dazu: ›Die Chemie stimmt‹, aber es ist mehr als das. Es pulsiert und es dehnt sich aus. Es lebt. Es ist einfach da. Man braucht gar nichts dafür zu tun. Es ist ein Geschenk und seit
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