Sintflut (German Edition)
schon darin geschlafen. Das merkt man aber kaum, denn der Stoff ist nahezu knitterfrei. Gut sind auch die vielen Taschen. So brauche ich keine Handtasche und habe immer beide Hände frei. Eine Frau mit Jackett und ohne Handtasche sieht von hinten aus wie ein Mann, wenn sie kurze Haare hat und nicht mit den Hüften wackelt. Früher, als ich viel alleine unterwegs war, machte ich mir das zunutze. Je weiter östlich ich kam, umso entspannter konnte ich sein, wenn ich erstmal für einen Mann gehalten wurde.
Am Tag vor der Abreise muss ich mir dann nur noch die Haare rot färben. »Vielleicht sieht es gut aus«, hofft Max, als er zur Arbeit geht. Ich schneide es ein wenig kürzer, aber richtig kurz schneiden und von weitem wie ein Mann aussehen, das ist nicht drin. Paulas Markenzeichen ist die wilde, abstehende, ungekämmte Haarmähne, nicht lang, nicht kurz. Max hat recht, es steht mir ganz gut, aber Paula steht es besser. Sie sieht mit rotem Haar aus wie eine junge Hexe. Ich sehe mit rotem Haar aus wie eine Frau, die sich als junge Hexe verkleidet hat. Als Max nach Hause kommt, stutzt er einen Moment, dann grinst er. »Schau an, die verlorene Tochter ist zurück. Da braucht Marlene nicht nach Rumänien und kann doch noch mit mir die Bergtour machen.«
»Mach dich nicht lustig über mich«, antworte ich in scherzhaftem Ton, aber in Wirklichkeit ist mir schlecht: Die Stunde des Abschieds rückt näher.
»Du weißt, was mich anmacht«, raunt Max mir ins Ohr. »Komm mit mir nach oben. Marlene wird nichts merken. Hast du nicht auch schon daran gedacht? Ich sehe es dir doch an, du wirst ja ganz verlegen. Du kannst mir nicht widerstehen. Roter Mund, rote Wangen, rotes Haar. Und jetzt zeig mir, ob du es überall gefärbt hast.«
Normalerweise gibt es keinen größeren Schmerz, keine tiefere Angst und keinen geileren Sex als im Traum. Als ob wir im Schlaf das Leben besser kennen würden. Nur drei Ereignisse im wirklichen Leben können da mithalten: der Tod, eine schwere Krankheit und Abschiede. Meine jedenfalls.
Der letzte Abend, die letzte Nacht, der letzte Morgen, der letzte Kuss: Das ist alles schon furchtbar genug, aber der Moment des Abschieds selbst ist der schlimmste von allen. Davor verdrängt man ihn, danach ist es überstanden und man muss nur noch irgendwie zurechtkommen. Doch der Moment des Abschieds selbst ist für mich wie der Urknall: Mit großer Wucht werden Materie und Antimaterie auseinander gerissen. Einzeln treiben sie durchs Weltall. Irgendwann kommen sie zwar wieder zusammen. Es entsteht ein neues Universum, und nichts wird sein, wie es immer war.
Jetzt ist Max bereits in der Luft und unterwegs zu einem Geschäftstermin in Paris. Von dort fliegt er gleich weiter in die Berge. Wir sind zusammen zum Flughafen gefahren, und mir bleibt bis zum Abflug noch viel Zeit. Zum Glück, denn die Warteschlange vor den Sicherheitskontrollen ist heute besonders lang und es wird ewig dauern, bis ich zum Flugsteig kann.
Ich fühle mich elend. Erstens wegen dem Abschied und zweitens, weil ich das Fliegen hasse. Nein, das ist falsch ausgedrückt. Es muss heißen: weil ich eine Scheißangst davor habe. Vor jedem Start bete ich, sonst bete ich nie. Nach jeder Landung schwöre ich: Das war das letzte Mal. Nie mehr bringe ich auf diese Weise mein Leben in Gefahr. Aber dann tue ich es doch wieder. Und bitte erneut um Schutz von oben. Ist das nicht bescheuert?
Jetzt muss ich hier warten und kann nichts tun, als mir Gedanken zu machen, bis das Flugzeug sicher in der Luft ist. Früher waren es wenigstens nur technische Pannen, die man zu befürchten hatte, jetzt kommt noch die Terrorangst dazu. Irgendwelche Knalltüten, die sich sonst was davon versprechen, so eine arme Maschine ins Verderben zu stürzen.
Nur langsam bewegt sich die Warteschlange vorwärts. Während der Ausbildung mussten wir mal Waffen und Sprengstoff durch eine Flughafenkontrolle schmuggeln. Die meisten schafften es ohne Problem. Die Waffe in ihre Teile zerlegen, den Sprengstoff in eine Puderdose füllen, den Zünder als Walkmankabel tarnen, so was halt. Und nun die gute Nachricht: Es passiert nicht deshalb so wenig, weil die Kontrollen besser geworden sind, sondern weil es sehr viel weniger Knalltüten gibt, als man denkt.
Lieber fahre ich Auto. Das ist zwar statistisch gesehen unsicherer als fliegen, aber mein Gefühl sagt mir das Gegenteil. Ich habe die Kontrolle und entscheide, wen ich mitnehme und wen nicht. Außerdem bin ich ein Autonarr, so jemand,
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