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Sintflut (German Edition)

Sintflut (German Edition)

Titel: Sintflut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Schulze
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egal, wie kalt es ist und egal, was man an hat. Doch jedes Mal, wenn sie wieder krank ist, hat sie auf einer kalten Bank gesessen und war zu dünn angezogen. Verstehen Sie, was ich meine?«
    Blondie seufzt. Mit mir hat sie es aber auch nicht leicht. »Und was machen Sie beruflich?«, fragt sie zögernd, nachdem sie eine Weile geschwiegen hat.
    »Ich bin Hausfrau«, sage ich ein letztes Mal vor meinem Debüt als Archäologin. Berufstätige Frauen kann man immer gut damit aufziehen.
    Es funktioniert und schon ist es aus ihr heraus: »Nur Hausfrau, ist das wahr? Ich dachte, die wären längst ausgestorben.«
    »Ein paar sind wohl noch übrig, wie wir neulich im Hausfrauenbund …« Das will sie nun wirklich nicht wissen. Eine Vereinstante, die mit anderen Vereinstanten über gestärkte Tischwäsche fachsimpelt, nein danke.
    »Ich meine ja nur«, sagt sie schnell, »speziell, wenn die Kinder dann groß sind, füllt einen das als Frau dann noch aus?«
    Was mich ausfüllt und was mich speziell als Frau ausfüllt, ist ja schon ein Unterschied. Aber dazu sage ich jetzt nichts, sonst hält sie gar nichts mehr von mir. »Wir haben keine Kinder«, antworte ich stattdessen.
    »Ja, und was machen Sie dann den ganzen Tag?«
    Das musste ja kommen. »Putzen, Kochen, Einkaufen«, verkünde ich stolz und bereue es auch gleich wieder. So naiv, wie ich jetzt getan habe, kann ich gar nicht sein.
    »Das nehme ich Ihnen jetzt aber nicht ab.« Blondie schüttelt lachend den Kopf. Dann will sie unbedingt wissen, was ich vor meiner Ehe gemacht habe. Die Stewardess bringt Essen und Trinken und ich komme um die Antwort herum. Danach redet Blondie über Ausbildungsmöglichkeiten im Bereich Redaktion.
    »Unsere Redaktionsassistentin Gertrud Almer zum Beispiel kam als Seiteneinsteigerin frisch von der Uni. Hatte Germanistik studiert, dann bei uns vor allem Korrektur gelesen, durfte auch schon mal redigieren und seit Kurzem ist sie Chefin vom Dienst. Steht damit sozusagen über mir, natürlich nicht wirklich, die bilden sich immer gleich was ein …«
    Das Essen ist abgeräumt und Blondie muss mal. Als sie weg ist, greife ich nach meinem Bordmagazin, das vor ihrem Sitz klemmt. Vielleicht kommt ja ein Film. Als ich das Heft rausziehe, fällt eine Klarsichthülle zu Boden, die ihr gehören muss. Wahrscheinlich wollte sie darin lesen. Hätte sie nur mal, dann wüsste sie jetzt was. Ein Foto fällt aus der Hülle, mit der Butterseite nach unten. Ich hebe es auf, drehe es um und blicke in die grünen Augen meiner Schwester. Eine etwas ältere Aufnahme, als sie noch verheiratet war und ein paar Kilo schwerer als heute.
    »Das ist aber ein schönes Foto von Ihnen«, sagt Blondie, die inzwischen vom Klo zurück ist und hinter mir stehen geblieben ist. Ich muss ganz schön schlucken, und zum Glück steckt wenigstens die Klarsichthülle schon wieder an ihrem Platz. Offenbar hat sie das Foto vorher noch nie gesehen, sonst würde sie jetzt nicht denken, es wäre meins. Hoffentlich hat sie nicht noch irgendwo ein zweites. »Ja, finden Sie?«, sage ich so locker wie möglich. »Das war letztes Jahr im Urlaub, eine Schlemmerreise nach Italien. Sollte ich ja eigentlich nicht mitfahren bei so was, aber mein Mann meint, ich brauche nicht abzunehmen …«
    ›Würde dir aber gut tun‹, sagen ihre Augen, als sie mit kritischem Blick meine Figur taxiert. Wahrscheinlich hat sie sogar recht, ein paar Pfund weniger könnten gar nicht schaden.
    Wir überfliegen den Plattensee. Wir überfliegen die Westkarpaten. Wir erreichen die Donauebene. Der Horizont ist ein Strich, oben blauer Himmel, unten braune Felder. Blondie ist seit einiger Zeit verschwunden, war nach ein paar Turbulenzen etwas blass um die Nase. Ich habe meine Flugangst, aber ich habe auch Ablenkung. Als sie zurückkommt, kenne ich alle Texte aus ihrer Klarsichthülle. Sie setzt sich wieder auf ihren Platz und schaut auf die Uhr.
    »Wie spät ist es denn? Ich habe meine zu Hause vergessen«, frage ich.
    »Kurz vor drei, in einer halben Stunde landen wir. Ich habe früher auch ewig meine Uhren vergessen. Hat mich im Durchschnitt zwei neue pro Jahr gekostet. Aber damit ist es jetzt vorbei. Sehen Sie hier, das ist eine ›Tag & Nacht‹ aus der Manufaktur Bergenrot. Locker wie ein Armreif, bequem, wasserdicht, allergiegetestet, ein Problem weniger im Leben. Nur mit einem Spezialwerkzeug zu öffnen. Auf Reisen nehme ich dieses Werkzeug einfach nicht mit. Sonst hätte ich mir die ›Tag & Nacht‹ auch sparen

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