Sintflut (German Edition)
können.«
So eine Uhr hätte ich auch gern. Aber man kann nicht alles haben, und viel wichtiger als die Uhr sind die Informationen aus der Klarsichthülle. Daraus geht hervor: Die deutsche Archäologin Paula Petrus hat in Rumänien das goldene Erbe einer noch unbekannten Hochkultur entdeckt. Sind die Funde echt, müssen einige Kapitel der Frühgeschichte umgeschrieben werden. Und Blondie, die übrigens Anna Lenz heißt, hat eine Pressekarte für den Kongress, bei dem ich morgen auftreten soll.
9
Das Flugzeug ist weich gelandet, einige Leute klatschen. Wir rollen langsam auf das Flughafengebäude zu, vorbei am Hangar der rumänischen Fluggesellschaft Tarom. Die scheinen nichts wegzuwerfen, denn ich sehe einen halben Flugzeugrumpf, zwei abgesägte Tragflächen und Triebwerke, in deren Schatten streunende Hunde schlafen. Von einem auf dem Rücken liegenden Airbus ragt das Fahrwerk in den Himmel. Die Reifen sind geplatzt, herunterhängender Gummi wickelt sich um die dünnen Beinchen. Ein toter Vogel, bei dem die Leichenstarre schon eingesetzt hat.
Sonst ist der Flughafen Bukarest modern, übersichtlich und sehr gepflegt. An der Passkontrolle die übliche Warteschlange. Die Beamten nehmen es sehr genau und so dauert es seine Zeit, bis alle Visa abgestempelt sind. Mütter mit kleinen Kindern und alte Frauen dürfen den Diplomatenschalter passieren und sind als Erste draußen. Auch Anna darf vorbei. Sie winkt mir zu und verlässt dann eilig die Halle. Dort warten Kinder mit selbst gemalten Schildern und Blumensträußen auf ihre Verwandten, auf mich wartet niemand. Trotzdem ertappe ich mich dabei, verstohlen nach Paula Ausschau zu halten oder nach einer Person, die ein Schild mit meinem Namen hochhält.
Flughäfen sind geschützte Gebiete. Sie geben dem Reisenden vor Wiedereintritt in die Welt etwas Zeit, sich anzupassen. Es ist schon die Fremde, aber noch nicht ganz. Zum Beispiel riecht es schon anders und man kann die Werbeplakate nicht mehr lesen. Man beobachtet die Leute um sich herum. Man fragt sich, wo die Unterschiede liegen und welche Gemeinsamkeiten es gibt. Schließlich fährt man in die nächstgelegene Stadt. Diese Fahrt ist dann der erste richtige Kontakt mit der Außenwelt. Man ist auf der Hut, das Herz schlägt schneller, zumindest die erste Zeit.
Bukarest war einmal das Paris des Ostens, so steht es im Reiseführer. Moderne Baumeister ersetzen die alte Pracht durch Betonbauten. Niemand wird diese Bauten je lieben, niemand wird staunend davor stehen und sagen: Schau nur, wie schön. Hinter den Fenstern sehe ich Geranien und blickdichte weiße Vorhänge, einmal sitzt ein großer rosa Plüschteddy auf einem Sims, der wissend einem Müllauto hinterher schaut, das unter ihm vorbeifährt.
Nach einer Viertelstunde Fahrt biegt der Fahrer in eine enge Gasse ein. Vor uns sind andere Wagen, wir kommen nur schrittweise voran. Kinder klopfen an die Scheiben, halten die Hand auf. Alte Frauen sitzen auf den Stufen einer Kirche, ein Tellerchen mit ein paar Münzen neben sich. Junge Frauen in sehr kurzen Hosen und bauchfreien Tops stolzieren den Bürgersteig auf und ab.
Daheim sehe ich das immer nur im Fernsehen. Ich weiß, es existiert, aber in meinem Leben spielt es keine Rolle: das Elend. Und jetzt, wo ich leibhaftig daran vorbeifahre, kommt es mir sogar noch unwirklicher vor. Als ob das Fernsehen dafür gesorgt hätte, dass seine Bilder einer Überprüfung standhalten, sozusagen ein potemkinsches Dorf unter umgekehrten Vorzeichen. Und hier soll das Hotel sein? Max hat es ausgesucht. Er war sicher, es würde mir gefallen und hat sich persönlich um die Reservierung gekümmert.
»Es ist eine alte Karawanserei«, sagte er kurz vor meiner Abreise und wedelte mit einem Hotelprospekt herum. »Durch ein Holztor kommst du hinein, da schau. Nachts wird es verschlossen, niemand kann rein, es ist eine Festung. Du übernachtest im zweiten Stock, hier irgendwo. Dein Zimmer ist nur über diesen Gang erreichbar.« Max zeigte auf eine umlaufende Holzterrasse im arabischen Stil. Eine Etage tiefer war noch eine Terrasse mit Tischen und Stühlen, offenbar das Hotelrestaurant. Im geräumigen Innenhof standen hohe Laubbäume und alles sah wunderschön aus.
»Hübsch, wenn man zum Spaß hinfährt«, antworte ich ohne meine übliche Begeisterung für altmodische Hotels.
»Du hast es selbst gewollt. Und nun sei nicht zickig«, schimpfte Max. »Schon allein wegen dem Hanul Manuc lohnt sich der Flug nach Bukarest. Und ich kann
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