Sintflut (German Edition)
nicht mit, wie schade.«
»Wegen des Hotels oder wegen mir?«, gab ich noch zickiger zurück.
Das Holztor kommt in Sicht und öffnet sich, nachdem der Taxifahrer zweimal gehupt hat. Ich zahle, er lädt meinen Koffer aus und fährt wieder auf die Gasse hinaus. Sobald sich das Tor hinter mir geschlossen hat, ist die Außenwelt vergessen.
In der Lobby sitzen vier Angestellte und schauen sich einen amerikanischen Western an. James Stewart schießt auf eine Konservendose. Der Film ist nicht synchronisiert und läuft ohne Untertitel. Ich ahne, wie der Mann, der jetzt den Koffer auf mein Zimmer schleppt, seine Englischkenntnisse und seinen amerikanischen Akzent erworben hat.
»There you are! Enjoy your stay in Romania!«, grüßt er im fröhlichsten Kalifornisch, als wir oben angekommen sind. Ich gebe ihm sein Trinkgeld und er verschwindet wieder.
Ich lasse den Koffer stehen und öffne eine der beiden Türen vor mir. Sie führt in ein geräumiges Bad, die andere in ein ebenso geräumiges Zimmer. Ich zähle vier Tische, darunter ein richtiger Schreibtisch, drei bequeme Stühle und zwei Betten. Auf einem davon ruhe ich mich etwas aus, danach schaue ich aus dem Fenster. Auf einem leeren Grundstück neben dem Hotel kassieren fünf kleine Jungs in Unterhosen eine Gebühr von den Autofahrern, die dort parken wollen. Wenn gerade niemand kommt, spielen sie Fußball.
Abendlicht vergoldet den Innenhof des Hanul Manuc, als ich auf der Suche nach etwas Essbarem mein Zimmer verlasse. Leise rascheln die Blätter der Pappeln im Innenhof. Ich gehe die Treppe hinunter ins Restaurant, setze mich an einen Tisch.
Ein dicker Mann kommt den Gang entlang. Bei ihm machen die Holzdielen keinen Mucks, während sie bei mir fürchterlich geknarrt haben. Vielleicht ist er öfter hier und weiß genau, wo er hintreten muss. Er ist ein großer Kerl, wohl knapp zwei Meter, sein wuchtiger Schädel fast kahl. Seine Augen sind grau wie die Nordsee im Winter, seine Nase, seine Backen und seine dicken roten Lippen wissen alles über die schönen Dinge des Lebens. Ich schaue zu lange in sein Gesicht, schon steuert er auf meinen Tisch zu.
»Darf ich mich zu Ihnen setzen? Für einen hässlichen Mann gibt es keine größere Ehre als die Aufmerksamkeit einer schönen Frau. Und nun sagen Sie nur nicht, Sie wollen lieber alleine bleiben.«
Ich will antworten, lasse mir aber mit Luft holen und der Suche nach einer launigen Antwort zu viel Zeit. Schon redet der dicke Mann weiter.
»Ich heiße Birgul Schmitzig und bin ein erfolgreicher Antiquitätenhändler, aber vorher kaufte ich ein sehr teures ›i‹ und durfte das ›u‹ in meinem Nachnamen rausschmeißen. Ich bin Schweizer Jude rumänischer Abstammung, ich spreche Arabisch, Deutsch, Englisch, Rumänisch und Russisch. Mehr muss man nicht können. Vielleicht noch Italienisch, um die Oper zu verstehen.«
Ich mag es, wenn Menschen in ganzen Sätzen sprechen. Und ich mag es, wenn Dicke selbstbewusst sind. Dann macht es nichts, wenn Themen wie Bergwandern, Tanzen, Sport, Gesundheit, Krankheit oder Liebe zur Sprache kommen.
»Paula Petrus, Archäologin«, sage ich. »Erst kommen wir, dann die Räuber, dann die Antiquitätenhändler. Manchmal ist es auch umgekehrt. Pech für die Welt.«
»Nein, nein, so dürfen Sie das nicht sehen«, meint Birgul angriffslustig. »Gerade wir Händler tun doch wirklich unser Bestes, damit die Menschheit das alte Gerümpel für wertvoll hält, was Leute wie Sie aus der Erde holen. Würden wir nicht die Preise in die Höhe treiben – glauben Sie, es gäbe auch nur ein einziges Museum auf der Welt? Oder ein denkmalgeschütztes Gebäude? Nur weil ein paar Historiker meinen, das sei wichtig? Gewiss nicht. Nur wenn das Alte einen hohen materiellen Gegenwert hat, ist es vor der Furie des Verschwindens geschützt.«
Die Kellnerin nimmt unsere Bestellung auf, Birgul wählt ein Steak, ich eine Gemüsesuppe mit Rührei und Polenta, da kann man nicht viel falsch machen. Eine Zigeunerkapelle spielt eine getragene, traurige Melodie, das Akkordeon führt. Unausweichlich kommt es zu einer Auseinandersetzung mit dem Bass, die Zither versucht zu schlichten. Jetzt mischt sich die Geige ein und will die Oberhand gewinnen. Das Tempo steigt, doch dann vertragen sich alle wieder. Zum Glück sind keine Touristen hier, denn die Kapelle spielt auf Wunsch auch »Mein Hut, der hat zwei Ecken«, wie die Kellnerin uns versichert. Sie bringt mein Essen und Birguls Steak, ein fast zwei Daumen dickes
Weitere Kostenlose Bücher